Auch in Hermann Hesses Steppenwolf gibt es eine solche Stelle, gleich zu Beginn, nicht sehr ausführlich, eher holzschnittartig, aber aufschlussreich; jedenfalls gibt sie zu denken.
Der Roman beginnt ja mit einem Vorwort des Herausgebers. Es ist der Sohn der Vermieterin von Harry Haller, dem Steppenwolf, dessen Initialien nicht ganz zufällig beginnen wie die Hermann Hesses.
Wir wissen auch, dass Hesse in jener Zeit, als er um seine zweite Ehe zu Ruth Wenger kämpfte, eine Mansardenwohnung in Zürich mietete, jenen Wohnung, die auch im Roman gleich zu Beginn eine Rolle spielt, eben dadurch, dass der Sohn der Vermieterin von Harry Haller alias Hermann Hesse der Aufzeichnungen des Steppenwolfes habhaft wird und ihnen ein Vorwort vorausstellt. Dort nun heißt es:
Hier muss ich eine psychologische Anmerkung einfügen. Obgleich ich über das Leben des Steppenwolfes sehr wenig weiß, habe ich doch allen Grund zu vermuten, dass er von liebevollen, aber strengen und sehr frommen Eltern und Lehrern in jenem Sinne erzogen wurde, der das "Brechen des Willens" zur Grundlage der Erziehung macht. Dieses Vernichten der Persönlichkeit und Brechen des Willens nun war bei diesem Schüler nicht gelungen, dazu war er viel zu stark und hart, viel zu stolz und geistig. Statt seine Persönlichkeit zu vernichten war es nur gelungen, ihn sich selbst hassen zu lehren. Gegen sich selber, gegen dieses unschuldige und edle Objekt richtete er nun zeitlebens die ganze Genialität seiner Phantasie, die ganze Stärke seines Denkvermögens. Denn darin war er, trotz allem, durch und durch Christ und durch und durch Märtyrer, dass er jede Schärfe, jede Kritik, jede Bosheit, jeden Hass, dessen er fähig war, vor allem und zuerst auf sich selbst losließt. Was die anderen, was die Umwelt betraf, so machte er beständig die heldenhaftesten und ernstesten Versuche, sie zu lieben, ihnen gerecht zu werden, ihnen nicht weh zu tun, denn das "Liebe deinen Nächsten" war ihm ebenso tief eingebläut wie das Hassen seiner selbst, und so war sein ganzes Leben ein Beispiel dafür, dass ohne Liebe zu sich selbst auch die Nächstenliebe unmöglich ist, dass der Selbsthass genau dasselbe ist und am Ende genau dieselbe grausige Isoliertheit und Verzweiflung erzeugt wie der grelle Egoismus.Es zeichnet wohl die großen Liebenden dieser Erde aus, Jesus, Buddha, Mutter Teresa, Gandhi, Franz von Asissi, dass sie, ohne groß darüber zu sprechen, eine Liebe zu sich selbst in sich trugen und lebten, und diese Liebe auch nach außen lebten.
Nur wenn beides vorhanden ist, ist die Liebe heil und heilt.