Eines seiner schönsten Gedichte finde ich das folgende, weil es so zärtlich die Kindheit zweier Kinder thematisiert, wie sie noch zu Zeiten war, als man noch - wie Heine selbst in einer Stadt wie Düsseldorf, seiner Heimatstadt - in Hühnerhäuschen kriechen und sich dort verstecken konnte.
Ich habe das Gedicht in diesen Blog aufgenommen, weil ich es auch lese als Zwiesprach eines Mannes oder einer Frau mit ihrem eigenen inneren Kind eines Mannes oder einer Frau, in denen noch ihr inneres Kind so lebt, dass sie mit ihm auf diese zärtlich sich erinnerende Weise in Kontakt treten können.
In Wirklichkeit mag der 26-jährige Heine seine Lieblingsschwester Charlotte im Sinn gehabt haben.
In Wirklichkeit mag der 26-jährige Heine seine Lieblingsschwester Charlotte im Sinn gehabt haben.
Jedenfalls lesen wir bei Ludwig Marcuse in der rororo-Monografie (wobei man sich nicht irritieren lassen darf, dass Heinrich Heine hier noch Hary heißt):
In dem Häuschen Boikerstraße 10 naschte Harry Trauben; wurde Harry zur Strafe in den Hühnerwinkel gesperrt, wo er durch sein Krähen das Geflügel der Nachbarshöfe in Aufruhr brachte, lernte Harry die Buchstaben, welche die Mutter mit Kreide auf die Tür schrieb. In diesem Häuschen spielten Harry und die Schwester Charlotte, sein Liebling, morgens miteinander, wenn die anderen noch schliefen; sie suchten Reime.
Gefunden hat Heine später dann unter anderem folgende, die mir eben wie eine warme Erinnerung eines Erwachsenen an seine Kindheit vorkommen, an zwei innere Kinder, die noch so ganz und gar, so inständig und vollständig ins Spiel und ins Sein vertieft sein konnten:
Warum ich mir erlaube, es als Zwiesprache mit seinem inneren Kind, seinen inneren Kindern zu lesen?
Weil Heine so sehr um die Bedeutung der Kindheit weiß.
Weil mich obiges Gedicht erinnert an eines aus seiner Gedichtsammlung Romanzero, das dreißig Jahre später entstanden und überschrieben ist
Dabei kommt Kindheit in dem ganzen Gedicht eigentlich nicht vor:
Es ist eines seiner Lieder aus der Matratzengruft, wie Heine die Bettstatt in einem Haus nahe des Montmartre nannte, wo er dreißig Jahre dahinsiechte.
Warum ist die Kindheit verloren?
Und warum bricht das Herz, wo er doch treulich aushält?
Mein Kind, wir waren Kinder,
Zwei Kinder, klein und froh;
Wir krochen in’s Hühnerhäuschen
Und steckten uns unter das Stroh.
Wir krähten wie die Hähne,
Und kamen Leute vorbei –
Kikereküh! sie glaubten,
Es wäre Hahnengeschrei.
Die Kisten auf unserem Hofe,
Die tapezirten wir aus,
Und wohnten drin beisammen,
Und machten ein vornehmes Haus.
Des Nachbars alte Katze
Kam öfters zum Besuch;
Wir machten ihr Bückling’ und Knixe
Und Complimente genug.
Wir haben nach ihrem Befinden
Besorglich und freundlich gefragt;
Wir haben seitdem dasselbe
Mancher alten Katze gesagt.
Wir saßen auch oft und sprachen
Vernünftig, wie alte Leut’,
Und klagten, wie Alles besser
Gewesen zu unserer Zeit;
Wie Lieb’ und Treu’ und Glauben
Verschwunden aus der Welt,
Und wie so theuer der Kaffee,
Und wie so rar das Geld! – – –
Vorbei sind die Kinderspiele
Und Alles rollt vorbei, –
Das Geld und die Welt und die Zeiten,
Und Glauben und Lieb’ und Treu’.
Warum ich mir erlaube, es als Zwiesprache mit seinem inneren Kind, seinen inneren Kindern zu lesen?
Weil Heine so sehr um die Bedeutung der Kindheit weiß.
Weil mich obiges Gedicht erinnert an eines aus seiner Gedichtsammlung Romanzero, das dreißig Jahre später entstanden und überschrieben ist
enfant perdu
– verlorene Kindheit –
Dabei kommt Kindheit in dem ganzen Gedicht eigentlich nicht vor:
Verlorner Posten in dem Freiheitskriege,
Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus.
Ich kämpfe ohne Hoffnung, dass ich siege,
Ich wusste, nie komm ich gesund nach Haus.
Ich wachte Tag und Nacht - Ich konnt nicht schlafen,
Wie in dem Lagerzelt der Freunde Schar -
(Auch hielt das laute Schnarchen dieser Braven
Mich wach, wenn ich ein bisschen schlummrig war).
In jenen Nächten hat Langweil' ergriffen
Mich oft, auch Furcht - (nur Narren fürchten nichts) -
Sie zu verscheuchen, hab ich dann gepfiffen
Die frechen Reime eines Spottgedichts.
Ja, wachsam stand ich, das Gewehr im Arme,
Und nahte irgendein verdächt'ger Gauch,
So schoss ich gut und jagt ihm eine warme,
Brühwarme Kugel in den schnöden Bauch.
Mitunter freilich mocht es sich ereignen.
Dass solch ein schlechter Gauch gleichfalls sehr gut
Zu schießen wusste - ach, ich kann's nicht leugnen -
Die Wunden klaffen - es verströmt mein Blut.
Ein Posten ist vakant! - Die Wunden klaffen -
Der eine fällt, die andern rücken nach -
Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen
Sind nicht gebrochen - nur mein Herze brach.
Es ist eines seiner Lieder aus der Matratzengruft, wie Heine die Bettstatt in einem Haus nahe des Montmartre nannte, wo er dreißig Jahre dahinsiechte.
Und warum bricht das Herz, wo er doch treulich aushält?
Mich berührt Heines Schicksal so sehr, weil ich glaube, dass sein Lebensschicksal eng damit verbunden ist, dass er seine Wurzeln verleugnete und vom Judentum zum Christentum konvertierte: Der Taufzettel ist das Entre Billett zur Europäischen Kultur, so schrieb er selbst und damit wird auch die Motivation klar, warum er seine Ursprungsreligion verleugnete. Nie aber sah er seine Konversion selbst in einem günstigen Licht: Einen neuen Namen annehmen (...) ist eine demüthigende Conzession, sagt er selbst.
Heine hat seine Wurzeln und seinen Namen, der sein Lebensprogramm enthält und eine tiefe Bedeutung hat, verleugnet; mit seiner Taufe nannte er sich Christian Johann Heinrich.
Wenn man sich mit Karlfried Graf Dürckheim beschäftigt und weiß, dass diesem wichtig war, dass bei jedem Menschen als symbolische Handlung der Selbstfindung der Vorname durch den Nachnamen muss, der Karlfried also durch den Dürckheim, der Johannes durch den Klinkmüller, der Harry durch den Heine, damit der Mensch zu sich selbst findet, weiß man, dass sich Harry Heine selbst der Chance beraubte, zu sich zu finden. Was nützt es, wenn der Heinrich durch den Heine findet? Dem Harry nichts!
Der Nachname steht stellvertretend für das, was die Gesellschaft und die Familie unserem wahren Sein, das der Vorname repräsentiert, entgegenstellt.
Bei Heine kam noch der Religionswechsel, der Wechsel einer Identität, die schon durch ihre Bezeichnung religio (= Rükbindung) uns mit unserem Ursprung verbinden will, hinzu.
Wie wehmütig klingt auf diesem Hintergrund obiges erstes Lied, in welchem Harry die Kindheit besingt.
Wie wehmütig klingt schon hier - Heine ist ungefähr 26 Jahre alt - die letzte Strophe.
Ungefähr 26 Jahre?
Damit ist ein weiterer Beleg dafür angesprochen, wie sehr Heine sich von sich selbst entfernt hat. Nie hat er sein wahres Alter, sein Geburtsdatum bekannt gegeben, sich zu sich bekannt, zu dem Zeitpunkt, als seine Seele die Erde zum ersten Mal wirklich berührte.
Ungefähr 26 Jahre?
Damit ist ein weiterer Beleg dafür angesprochen, wie sehr Heine sich von sich selbst entfernt hat. Nie hat er sein wahres Alter, sein Geburtsdatum bekannt gegeben, sich zu sich bekannt, zu dem Zeitpunkt, als seine Seele die Erde zum ersten Mal wirklich berührte.
Krankheit will uns immer zurückbringen zu unserem wahren Sein.
Ist es ein Wunder, dass der sterbende Heine im Paragraph 7 seines Testamentes schreibt:
Hier hat der Heinrich - ich empfinde das so - zu Harry zurückgefunden, er hat - ohne das es explizit genannt ist - zu seinem Judentum zurückgefunden und damit auch sicherlich zu seinem Namen.
Seit vier Jahren habe ich allem philosophischen Stolze entsagt und bin zu religiösen Ideen und Gefühlen zurückgekehrt; ich sterbe im Glauben an einen einzigen Gott, den ewigen Schöpfer der Welt, dessen Erbarmen ich anflehe für meine unsterbliche Seele.
Wie wichtig ist es, dass wir kindlich zu sein vermögen. Nie käme einem Kind, auch keinem inneren Kind, in den Sinn, den Namen zu wechseln.
Auf diesem Hintergrund mag man verstehen, was ich davon halte, dass sich viele im Zuge ihrer esoterischen Entwicklung einen neuen Namen geben, um ihre Entwicklung zu demonstrieren.
Sie demonstrieren meines Erachtens ihre Fehlentwicklung.
In unserer inneren Kindheit und Kindlichkeit finden wir zu unserem Namen, in unserem Vornamen finden wir zu unserem heilen inneren Kind.
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