In diesem Blog veröffentliche ich Buchauszüge, Gedichte und eigene Gedanken zum Thema des inneren Kindes und des Kindseins überhaupt.
Eigentlich haben wir viele innere Kinder in uns: solche voller Energie, aber auch verletzte und sterbende Kinder, die wieder zu wirklichem Leben erweckt sein wollen ...
Ohne lebendige innere Kinder sind Erwachsene ohne wirkliche Individualität und oft nicht fähig zu spielen und kreativ zu sein ... Wie also die Kinder in uns wahrnehmen, wie mit ihnen umgehen?

Mittwoch, 30. Mai 2012

Den grollenden, unversöhnlichen inneren Kindern das Zepter ihres Regiments aus der Hand nehmen!

Den folgenden Beitrag aus der EthikPost möchte ich auch meinen Lesern hier übermitteln, denn er betrifft auch unsere inneren Kinder, mit denen es sich zu versöhnen gilt.
Oft haben sie Mauern von Groll und Zorn in den dunklen Gründen unserer Seele aufgebaut, um nicht ausgehoben, ja nicht einmal entdeckt zu werden.
Doch darum genau geht es, unsere inneren Groll-Gründe, unsere inneren Groll-Abgründe zu ent-decken, mit denen wir uns lange Zeit geschützt haben. Hören wir nur, wie sie schreien, jene so verletzten inneren Kinder, wenn wir ihnen die Decke wegziehen; ganz nackt liegen sie da, ohne Glauben daran, dass wir sie so, wie sie sind, liebevoll annehmen könnten. Nein, in ihrer Vorstellung gibt es das nicht, kann es das nicht geben, sonst hätten sie sich nicht so einmauern müssen. Längst haben sie ihre Eigendynamik entwickelt und bestimmen unser Sein. Wie oft fühlen wir uns doch im Unrecht und erkennen das Böse im Anderen; ja, so ist ja das Leben eben, sagen wir, um zu kaschieren, dass uns diese Sicht auf das Leben legitimiert, weiter im Frieden mit unserer Unversöhnlichkeit zu leben.
Doch genau so, wie wir es sehen wollen, ist das wirkliche Leben nicht. Das will nicht von Unversöhnlichkeit dominiert sein.
Nehmen wir unseren unversöhnlichen inneren Kindern ihr schreckliches Zepter aus der Hand.
Es geht, es gehört Mut dazu.
Die zwei Wort-Räume von Hilde Domin und Conrad Ferdinand Meyer können uns Mut geben, Versöhnung anzustreben.
Hier also der Post, der auf der EthikPost überschrieben ist:

Einen wertvolleren Kuss gibt es nicht: 
von weißen Tauben, Tränen und Versöhnung.

Man sieht es ihm nicht unbedingt an: In dem Wort Versöhnung verbirgt sich das Wort Sühne, und Sühne - ursprünglich mittelhochdeutsch suone, gleichbedeutend mit VersöhnungFrieden - bedeutet in seiner niederländischen Facette auch Kuss.

Ja, es gibt diesen Kuss der Versöhnung, des Friedens.
Von ihm ist, ohne dass er direkt angesprochen wird, in mancherlei Geschichten und Gedichten die Rede, unter anderem in Hilde Domins so eindrücklichen Gedicht

Versöhnung

Erst sah ich weiße Fahnen
und wurde blass, ich mag nicht siegen.
Doch dann glitten deine Tauben herüber,
so sanft
schicktest du die weißen Tauben
von dir zu mir,
Taube um Taube,
ich atmete kaum,
das Zimmer war weiß von ihnen.
Ich hielt die Hände hin:
schneeflockenfeucht von deinen 
Tränen
tranken sie meine Tränen.

Dieses Gedicht berührt mich umso mehr, als ich gerade über Conrad Ferdinand Meyers Die Füße im Feuer geschrieben habe, eine Ballade und ein Thema, das mich einfach sehr bewegt, denn ohne, dass wir uns selbst verzeihen, werden wir nicht wirklich ein wahrer Mensch. In dieser Ballade geschieht eine große Versöhnung, die einen unglaublich berührt. Auch in ihr gibt es eine bezeichnende Stelle, in der kaum geatmet wird, ja, sich kein Lüftchen regt; es ist jene Stelle, bevor die Stimme der Vergebung, der Versöhnung spricht.

Wirkliche Menschen werden wir nur, wenn wir uns küssen lassen von Versöhnung, wenn wir uns versöhnen mit uns selbst, wenn wir uns vergeben, wenn wir nicht ständig und heimlich unheimlich alte Schulden auftragen, die zur Folge haben, dass wir grollen, uns und anderen; nur wenn wir uns mit uns versöhnen, uns vergeben, dann ist Versöhnung mit dem Leben, der Liebe möglich.

Hilde Domin thematisiert dieses Geschehen nachdrücklich. In den Worten ihres lyrischen Ichs finden wir angesprochen, dass es nicht darum gehen kann zu siegen. Siegen ist keine Voraussetzung für wirklichen Frieden, Vergebung, Versöhnung. Denn ein anderer trüge an einer Niederlage.
Es sei denn, die Taube siegt, Symbol jenes Geistes, der in uns siegen will, damit die Liebe siegt, dann geschieht das, was im Grunde ein Wunder ist, das Wunder wahrer Vergebung.
Wenn die Taube siegt, gibt es keine Verlierer!

Wunderschön, welche Worte Hilde Domin findet, wenn sie das ganze Zimmer von Tauben weiß sein lässt, wenn sie Tränen Tränen trinken lässt.

Welche Hingabe.

Sonntag, 20. Mai 2012

An den Ort unserer Verletzungen, auch der größten zurückkehren!

Den Hinweis darauf, um was es im Folgenden geht, verdanke ich meiner besten Freundin HeideMarie Ehrke, und das ist bezeichnend für sie, für einen besten Freund oder eine beste Freundin, wenn man sie haben darf, dass sie immer weiß, intuitiv, was mir gerade gut tut, ja, was ich brauche.
So war es auch hier.
Es war ein Hinweis auf eine evangelische Morgenfeier auf Bayern1.
Durch sie ist mir etwas bewusst geworden, was ich eigentlich schon wusste, im Kopf - nun ist es ins Herz gewandert :-))
Würden doch mehr Menschen kapieren wollen, dass es Bilder in der Kunst, in der Bibel, in den Märchen, in den Mythen überhaupt gibt, die Seelenbilder sind, weil sie einen Zustand der Seele zum Ausdruck bringen, der für uns alle gilt und dessen Verstehen uns so viel weiterbringen kann auf dem Weg zu uns selbst. Solche Bilder haben eine unglaubliche Heilkraft, vor allem dann, wenn sie von Menschen erläutert werden, die den Bildern ihre Bild-Kraft nicht nehmen; dann nämlich ist Herzens-Bild-ung möglich.
Die Bibel ist voll von solchen Bildern. Schade, dass Menschen so sehr die real existierende Kirche und die Bibel in einen Topf werden.
Obwohl immer wieder auch aus dem Raum der Kirche Wertvolles kommen kann.
So war es auch hier und es hat mir sehr weitergeholfen.
Eine Pastorin, Frau Melitta Müller-Hansen, die mich schon einmal mit ihren Worten beeindruckte, sprach über die Bedeutung von Himmelfahrt. Und wenn ich im Folgenden zwei Passagen zitiere, so mögen der Bayrische Rundfunk und sie nachsichtig sein; eigentlich sind sie nur zum privaten Gebrauch bestimmt.
Gegen Ende ihrer etwas mehr als zwanzigminütigen Ausführungen, die ich wirklich empfehlen möchte - den Podcast, also die Aufnahme, die man anhören kann, habe ich hier verlinkt -, verwies sie auf einen Tatbestand, der mir neu war und der hochinteressant ist:
Rembrandt, der sein Bild Christi Himmelfahrt um 1636 malte und das erfreulicherweise in Deutschland, nämlich in der Münchner Pinakothek, betrachtet werden kann, zeichnete den Auferstehenden mit seinen Wundmalen an den Händen, jenen Wundmalen, die er am Kreuz erlitt.
Ob ihn seine Jünger so gesehen hatten? Ob sie die Wundmale gesehen haben? Die Bibel erwähnt das nicht.
Rembrandt aber sah sie, er sah sie sicherlich mit seinen inneren Augen und die Worte Melitta Müller-Hansens wissen zu vermitteln, wie wichtig es für jeden Menschen ist, dass er den zum Himmel Auffahrenden so gemalt hat.


Sie fragt: Was bedeutet es, dass ein Gekreuzigter in den Himmel eingeht und herrscht über die Mächte der Welt? Was bedeutet es, dass Wundmale Teil des Himmels werden, dass kein Unversehrter, sondern ein Gezeichneter und Geheilter den Himmel prägt? Es sagt etwas Neues über Gott und Himmel. Der Himmel weiß von den Wunden der Erde. 

Den letzten Satz finde ich eine Wucht.

Aber es kommt noch ein Punkt, der mir noch wichtiger erscheint - mit den Worten der Pastorin:

Jesus schickt die Jünger zurück nach Jerusalem. Dort werden sie die Kraft des heiligen Geistes empfangen. In Jerusalem. Hier haben die Menschen den Sohn Gottes ausgestoßen, hier haben die Jünger das Trauma von Verrat und Verfolgung erlebt. Hier sind sie weggelaufen, hier haben sie den Freund im Stich gelassen – und dahin sollen sie zurückkehren ...
An den Ort zurückzukehren, an dem man verletzt wurde, traumatisiert wurde, gehört vielleicht zum Schmerzhaftesten und Mutigsten, wozu ein Mensch in der Lage ist. Wir haben einen instinktiven Drang in uns, das zu vermeiden, so lange es geht.

Wo ist der Ort, der uns möglicherweise am meisten Schmerzen bereiten kann?
Bei vielen mag er das eigene Innere sein.
Aus diesem Jerusalem sind wir immer wieder in unserer Kindheit vertrieben worden. Manche für immer. Denn immer dann, wenn Eltern, Lehrer ... wer auch immer ... Kinder verletzen, zielen sie auf deren Inneres. Dort treffen sie die Kinder hundertprozentig. Manchmal - und zu oft - ganz bewusst.
Dann geschieht es, dass wir auf immer unser Innerstes verlassen.
Manche Kinder - und ich glaube, ich habe auch zu ihnen gehört - verlassen ihr Inneres, damit sie dort nicht mehr verletzt werden können.
Eine traurige, eine schreckliche Wahrheit.
Aber eine Kraft, die Christen als Jesus bezeichnen, schickt uns zurück in unser Inneres, an den Ort unserer Verzweiflungen, unserer Niederlagen, an den Ort unserer tiefsten Verletzungen.
Nur hier empfangen wir einen Geist, der heilen kann, die Bibel nennt ihn den Heiligen Geist, nichts anderes ist er, als der Geist der Liebe, der Liebe zu uns selbst.
Nur hier ist Heilung möglich.
Und wer es so religiös nicht brauchen kann, der mag es säkularer ausdrücken, psychologisch, wie auch immer - die Tatsache bleibt die gleiche: 
Wenn wir heil werden wollen, schickt uns eine Kraft nach innen und sagt: 
Warte da, sei mutig, sei stark, auch wenn Du hier einstmals schwach, vielleicht auch feige gewesen bist, so tief verletzt worden bist.
Niemand muss sich retuschieren, die Wunden müssen nicht schönheitsoperiert, kosmetisiert sein. 
Sie geben Zeugnis im Himmel von unseren Kämpfen. Der Himmel aber ist in uns.
Wo sonst?
Deshalb sind die Wundmale, die Rembrandt gemalt hat, so wichtig.
Jesus bekennt sich zu ihnen.
Nichts anderes heißt das als: Sie sind uns willkommen.
Sie haben uns zurück an diesen Ort geführt.

Bevor Jesus den Blicken entschwindet, sagt er den Jüngern, sie sollten nach Jerusalem zurückkehren, in die Stadt, die auch für seinen Tod steht, für ihre Angst. Wie verkrochen sie sich doch, als Jesus vom Kreuz genommen worden war. Nur Frauen hatten Mut, zum Grab Jesu zu gehen. Die Jünger waren zu feige. Selbst die Römer hatten seine Aussage, dass er auferstehen werde, ernster genommen und sein Grab bewachen lassen.
Zurück an den Ort der Niederlage, das war Jesu Gebot. Dort - und ich darf hinzufügen: nur dort - würden sie den Heiligen Geist empfangen.
Was mir auf dem Hintergrund dieser evangelischen Morgenfeier bewusst geworden ist:
Deshalb ist es so schwer, ins eigene Innere zurückzukehren, weil er ein Ort der Niederlage ist, ein Ort der Verletzung, ein Ort vieler Kindheitstraumen, die oft irreparabel erscheinen, der Verlust bedeutet, Verlust von Heimat und Geborgenheit.
Wir dürfen unsere Wunden zeigen. Im Himmel sind sie willkommen. In uns.

An diesen Ort genau schickt Jesus seine Jünger und dahin genau müssen auch wir gehen, wenn wir Heilung finden wollen, was immer uns da begegnet, an was immer wir da erinnert werden.
Es findet kein Jüngstes Gericht statt. Es findet Heilung statt.

Unsere Verletzungen sind die Eintrittskarte zu unserem Inneren.