Oft haben sie Mauern von Groll und Zorn in den dunklen Gründen unserer Seele aufgebaut, um nicht ausgehoben, ja nicht einmal entdeckt zu werden.
Doch darum genau geht es, unsere inneren Groll-Gründe, unsere inneren Groll-Abgründe zu ent-decken, mit denen wir uns lange Zeit geschützt haben. Hören wir nur, wie sie schreien, jene so verletzten inneren Kinder, wenn wir ihnen die Decke wegziehen; ganz nackt liegen sie da, ohne Glauben daran, dass wir sie so, wie sie sind, liebevoll annehmen könnten. Nein, in ihrer Vorstellung gibt es das nicht, kann es das nicht geben, sonst hätten sie sich nicht so einmauern müssen. Längst haben sie ihre Eigendynamik entwickelt und bestimmen unser Sein. Wie oft fühlen wir uns doch im Unrecht und erkennen das Böse im Anderen; ja, so ist ja das Leben eben, sagen wir, um zu kaschieren, dass uns diese Sicht auf das Leben legitimiert, weiter im Frieden mit unserer Unversöhnlichkeit zu leben.
Doch genau so, wie wir es sehen wollen, ist das wirkliche Leben nicht. Das will nicht von Unversöhnlichkeit dominiert sein.
Nehmen wir unseren unversöhnlichen inneren Kindern ihr schreckliches Zepter aus der Hand.
Es geht, es gehört Mut dazu.
Die zwei Wort-Räume von Hilde Domin und Conrad Ferdinand Meyer können uns Mut geben, Versöhnung anzustreben.
Hier also der Post, der auf der EthikPost überschrieben ist:
Einen wertvolleren Kuss gibt es nicht:
von weißen Tauben, Tränen und Versöhnung.
Man sieht es ihm nicht unbedingt an: In dem Wort Versöhnung verbirgt sich das Wort Sühne, und Sühne - ursprünglich mittelhochdeutsch suone, gleichbedeutend mit Versöhnung, Frieden - bedeutet in seiner niederländischen Facette auch Kuss.
Ja, es gibt diesen Kuss der Versöhnung, des Friedens.
Von ihm ist, ohne dass er direkt angesprochen wird, in mancherlei Geschichten und Gedichten die Rede, unter anderem in Hilde Domins so eindrücklichen Gedicht
Versöhnung
Erst sah ich weiße Fahnen
und wurde blass, ich mag nicht siegen.
Doch dann glitten deine Tauben herüber,
so sanft
schicktest du die weißen Tauben
von dir zu mir,
Taube um Taube,
ich atmete kaum,
das Zimmer war weiß von ihnen.
Ich hielt die Hände hin:
schneeflockenfeucht von deinen
Tränen
tranken sie meine Tränen.
Dieses Gedicht berührt mich umso mehr, als ich gerade über Conrad Ferdinand Meyers Die Füße im Feuer geschrieben habe, eine Ballade und ein Thema, das mich einfach sehr bewegt, denn ohne, dass wir uns selbst verzeihen, werden wir nicht wirklich ein wahrer Mensch. In dieser Ballade geschieht eine große Versöhnung, die einen unglaublich berührt. Auch in ihr gibt es eine bezeichnende Stelle, in der kaum geatmet wird, ja, sich kein Lüftchen regt; es ist jene Stelle, bevor die Stimme der Vergebung, der Versöhnung spricht.
Wirkliche Menschen werden wir nur, wenn wir uns küssen lassen von Versöhnung, wenn wir uns versöhnen mit uns selbst, wenn wir uns vergeben, wenn wir nicht ständig und heimlich unheimlich alte Schulden auftragen, die zur Folge haben, dass wir grollen, uns und anderen; nur wenn wir uns mit uns versöhnen, uns vergeben, dann ist Versöhnung mit dem Leben, der Liebe möglich.
Hilde Domin thematisiert dieses Geschehen nachdrücklich. In den Worten ihres lyrischen Ichs finden wir angesprochen, dass es nicht darum gehen kann zu siegen. Siegen ist keine Voraussetzung für wirklichen Frieden, Vergebung, Versöhnung. Denn ein anderer trüge an einer Niederlage.
Es sei denn, die Taube siegt, Symbol jenes Geistes, der in uns siegen will, damit die Liebe siegt, dann geschieht das, was im Grunde ein Wunder ist, das Wunder wahrer Vergebung.
Wenn die Taube siegt, gibt es keine Verlierer!
Wenn die Taube siegt, gibt es keine Verlierer!
Wunderschön, welche Worte Hilde Domin findet, wenn sie das ganze Zimmer von Tauben weiß sein lässt, wenn sie Tränen Tränen trinken lässt.
Welche Hingabe.