In diesem Blog veröffentliche ich Buchauszüge, Gedichte und eigene Gedanken zum Thema des inneren Kindes und des Kindseins überhaupt.
Eigentlich haben wir viele innere Kinder in uns: solche voller Energie, aber auch verletzte und sterbende Kinder, die wieder zu wirklichem Leben erweckt sein wollen ...
Ohne lebendige innere Kinder sind Erwachsene ohne wirkliche Individualität und oft nicht fähig zu spielen und kreativ zu sein ... Wie also die Kinder in uns wahrnehmen, wie mit ihnen umgehen?

Donnerstag, 26. September 2013

Netzfrauen posten: Der gefährlichste Moment in der Geschichte der Menschheit


Weil es so dringlich ist, möchte ich diesen Post der Netzfrauen auch in diesem Blog veröffentlichen:

“Bei der Sicherung der Brennelemente im Lagerbecken der Einheit 4 in Fukushima geht es um unser aller Überleben!”
 © Masaya Noda















Nur noch zwei Monate trennen uns von der größten Gefahr für die Menschheit seit der Krise um die Raketen auf Kuba.

Es gibt keine Entschuldigung dafür, jetzt nicht zu handeln. 

Wer weiterlesen möchte: hier

Sonntag, 8. September 2013

Auf dem Weg, wirklich lieben zu lernen, auf dem Weg zur Heilung des inneren Vaters: Arbeiten im Dunkeln, Sehen im Dunkeln, im Bergwerk der Bilder!

Mein Vater lebt nicht mehr, wie soll ich das Verhältnis zu ihm heilen? Ein Mann, der mich ein Leben lang nie in den Arm nehmen konnte, mich mit seinen Händen nie herzlich berührte? Der mit seiner Frau nicht klarkam und letztendlich nicht mit dem Leben? Der auf dem Sterbebett so tief aufstöhnte, als ich ihm zuliebe ein Vater Unser betete bei jener Stelle, die lautet: Und vergib uns unsere Schuld, obwohl er zu diesem Zeitpunkt doch schon tagelang nicht mehr ansprechbar war und wie im Koma lag!
Damals saß ich in dem Zimmer eines Krankenhauses, in dem noch zwei weitere schwerkranke Männer lagen, und ich erinnere mich, dass sie beide, als ich am Bett meines Vaters betete, innehielten und - einer von ihnen sogar laut - mitbeteten.

Wie auch sollen Frauen, die Schreckliches in Bezug auf ihren Vater mitgemacht haben - wie sollen sie ihren inneren Vater heilen?

So schwer es fällt, aber für die allermeisten Eltern, die ihren Kindern schweren Schaden zugefügt haben, gilt: Sie haben ihr Bestes gegeben - mehr ging nicht. 
Angesichts dessen, was  manche Eltern ihren Kindern angetan haben, scheint das fast lästerlich, nur:
Oft sind diese Eltern zu ihren eigenen Herkunfts-Eltern geworden und so geblieben.

Was sie getan haben, haben sie oft stellvertretend für das Bewusstsein ihrer Eltern getan. 
Unbewusst.
Diese alte Bewusstseins-Programme und Programmierungen setzen alles daran, nicht enttarnt zu werden, weiteragieren zu können, von Kindern zu Kindeskindern. 
Wenn es irgend geht, reißen sie den, der sie enttarnen will, mit in den Tod. Hinter diesem Geschehen steht eine große Dramatik; wir sehen sie in dem Leben so vieler Menschen. – Noch dominiert diese Dramatik, doch ich glaube, die Zeit kommt, in der sich das verändert. – In den Anfängen dieser Zeit befinden wir uns.

Nach wie vor ist es eine besondere Gnade, dass wir in unserem Bewusstsein weitergehen dürfen und können, wenn wir es tun wollen.

Dazu gehört, dass wir unseren Eltern zugestehen: Sie haben ihr Bestes gegeben, auch da, wo das Beste furchbar war, denn familiäre Programme, die in Menschen ablaufen, sind Zwangsjacken, aus denen es oft kein Entkommen gibt.

Wir können die Seele unserer Eltern nicht sanieren.
Wenn wir allerdings uns helfen, geschieht ihnen Hilfe, ob wir wollen oder nicht. Auch in einer anderen Welt nehmen sie an den Bewusstseinsprozessen ihrer Kinder teil.

Wir können uns selbst helfen, uns selbst heilen, indem wir uns helfen lassen, indem wir uns heilen lassen. Ein Weg ist der, der in der Unendlichen Geschichte aufgezeichnet ist. Das Brüder- Grimm-Märchen Eisenhans ist auch ein Heilungsmärchen - wie manche andere. Früher wurde auch das Johannes-Evangelium unter diesem Aspekt, dem der Heilung, gelesen.

Zurück noch einmal zu den Eltern, denn es gibt noch jene Eltern, die sich dessen bewusst waren, was sie taten.
Wie gilt es, mit ihnen umzugehen?

Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Dieses große Jesus-Wort am Kreuz ist auch das Lösungswort für unsere Seele.

Ich meine, der große Heiler meint: Vater, sei diesen Menschen gnädig, denn sie erfassen nicht, was sie anrichten, angerichtet haben.

Sie erfassen nicht die Dimensionen dessen, was sie tun, was sie taten.

Wer Kinderseelen Schmerz zufügt, tut etwas, was den Kosmos weinen lässt.

Wir wissen heute, dass, wenn in der Kindheit Spiegelneuronen nicht gefüllt worden sind, zum Beispiel mit der Fähigkeit, sich einfühlen zu können, Schmerz wahrnehmen zu können, auf Stimmen reagieren zu können, auf Mimik, auf Schluchzen, auf die ganze Palette von Gefühlen, dann kann der Mensch tatsächlich zu einem Monster werden, das nicht in der Lage ist, menschliche Regungen zu zeigen, nicht in der Lage ist, menschliche Regungen wahrzunehmen.

Zurück zu dem biblischen Bild, das manchen Leser veranlassen könnte wegzuklicken oder zu denken: Muss das sein, schon wieder diese Bibel?!

Die biblischen Bilder, die Bilder vom Kreuz, von Gethsemane, von der Auferstehung - letzteres Geschehen konnten damals vor nun annähernd 2000 Jahren nur Frauen wahrnehmen, nur also unsere weibliche Seite - sind Bilder der Heilung.

Wir sollten sie sehen, ohne uns durch die Kriminalgeschichte der Kirchen beeinflussen zu lassen, die es auch gibt neben der Tatsache, dass diese Institution auch vielen Menschen geholfen hat, genauer gesagt, Menschen voller Liebe, die in ihr gewirkt haben.

Gibt es Schlimmeres, als die Liebe hinzurichten?


Auch das haben Eltern, wie auch ich sie hatte, getan. In ihren Kindern, in dem Verhalten gegenüber ihren Kindern haben sie die Liebe hingerichtet. Nicht nur – aber doch auch.

Wie sehr wäre es der LIEBE ein Anliegen gewesen, dass wir als Kinder, dass Kinder überhaupt unversehrt geblieben wären!
Was, das sei an dieser Stelle gefragt, tun wir, tun unsere Politiker für die Kinder Syriens?

Stattdessen bin ich vielfach von meinen Eltern gequält und seelisch gefoltert worden (davon abgesehen, dass ich als Kind auch ordentlich auf die mir zur Verfügung stehende Art austeilen konnte ... auch ganz schön fies - und es geschah nicht alles aus Notwehr, sondern war Teil dessen, was ich in dieses Leben mitgebracht habe).


Gesagt werden darf hier aber auch, dass es Familien gibt, in der Kinder in wirklicher Liebe aufwachsen. – Glücklich, wer das erleben durfte und darf.


In der Dame Aiuóla haben wir eine Große innere Mutter kennengelernt auf eine Weise, wie sie Michael Ende für seine Unendliche Geschichte gewählt hat. Bastian lebt längere Zeit bei ihr, bis eine Sehnsucht in ihm zu wachsen beginnt, die er benennt als eine Sehnsucht, selbst lieben zu können


Erstaunt muss er bemerken, dass er es nicht konnte.


Ein Fingerzeig für uns, denn was wir als Liebe bezeichnen, ist ja nur das, was uns als Liebe vermittelt wurde.


Wenn wir das Meer nicht kennen und unsere Eltern einen Teich als Meer bezeichnen, dann denken wir bei dem Wort Meer, wir würden das Meer kennen.


So ist es mit der Liebe.


Bei der Dame Aiuóla merkt Bastian, dass er gar nicht weiß, was Liebe ist.


Und die Dame Aiuóla macht ihn darauf aufmerksam, dass er nun seinen letzten Wunsch gefunden habe.


Den musste Bastian finden, um von Phantásien, aus der Realität des Buches, in der er so viel lernte, wieder in seine Realität zu kommen.


Und sie sagt ihm weiterhin, dass er, um lieben zu können, das Wasser des Lebens finden müsse.


Klar, Michael Ende greift hier ein Märchenmotiv auf, aber auch eines, das sich in dem letzten Buch der Bibel findet.


Im Märchen wird die Bedeutung des Wassers des Lebens ganz klar: Es geht darum, ein Heilmittel für den todkranken Vater zu finden.


Auch für den Vater in uns.


Wir wissen, dass der Hauptakteuer der Unendlichen Geschichte, Bastian, ein Buch liest, indem es darum geht, der kindlichen Kaiserin das Leben zu retten. Und dass in diesem Buch ein Junge namens Atréju auserwählt wird, sie zu retten. Dass dieser Junge auf die Reise geht und herausfindet, dass jemand der kindlichen Kaiserin einen neuen Namen geben müsse, damit sie überleben kann, dass dieser Jemand aber von außerhalb Phantásiens kommen muss, dass aber Phantásien unendlich groß ist, grenzenlos ... Wie also soll Atréju außerhalb Phantásiens gelangen, um diesen Menschen zu finden? Das war zu einem bestimmten Zeitpunkt der Unendlichen Geschichte Atréjus Riesenproblem ... bis auf einmal Bastian, der diese Unendliche Geschichte auf dem Speicher seiner Schule liest, in die Handlung des Buches hineingelangt ... er ist es in der Folge, der der kindlichen Kaiserin den Namen gibt.


Er nennt sie Mondenkind.


Es kommt die Phase, wo er nicht mehr zurück will, weil ihm Phantásien so behagt und die riesige Gefahr besteht, dass er tatsächlich nicht mehr zurückkommt, wenn er seinen letzten Wunsch nicht richtig einsetzt. Auf die Dramatik dieses Geschehens, die mit allen Süchten von Menschen, auch einer religiösen oder esoterischen Sucht zusammenhängt, werde ich an anderer Stelle ein andermal eingehen.


Mit seinem letzten Wunsch, lieben zu lernen, hat Bastian Gott sei Dank richtig gewählt.


Nun also hat er sich von der Dame Aiuóla, die wir als seine innere Mutter wahrgenommen hatten, verabschiedet, um das Wasser des Lebens zu finden, und, wir ahnen es, zu seinem Vater zu gelangen.


Das nun erweist sich als nicht so einfach und gut, dass er auf Yor trifft, den Blinden Bergmann, der nur im Licht blind ist, aber im Dunkeln bestens sieht. Jener weiß um den Weg, doch er weiß auch, dass Bastian viel Geduld brauchen wird, um den Weg zu finden, denn er muss jenes Bild im Bergwerk der Bilder finden, das ihm den Weg weist.


Im Bergwerk der Bilder finden sich alle Träume der Menschen, denn nichts geht in der Welt verloren. Alle sind festgehalten auf hauchdünnen Tafeln aus einer Art Marienglas. Ganz Phantásien, das weiß Yor, steht auf den Grundfesten aus unseren vergessenen Träumen.


Ohne dass es Bastian so richtig bewusst wird, wird Yor sein Lehrer, denn jener weiß, dass Bastian nur ein vergessener Traum helfen kann, lieben zu lernen und das Wasser des Lebens zu finden.


Tag für Tag fährt er nun fortan mit Yor in die Tiefe des Bergwerks.


Bastian lernt zu schweigen, er lernt, zartfühlend mit den hauchdünnen Tafeln aus Marienglas umzugehen, auf denen die Träume festgehalten sind, er lernt die notwendige Art, sich behutsam zu bewegen, er lernt, im Dunkeln des Bergwerks - es wird auch die Grube Minroud genannt - zu arbeiten.


Nach und nach also lernte Bastian, sich da unten in der Dunkelheit zurechtzufinden:


Eingerollt wie ein ungeborenes Kind im Leib seiner Mutter lag er in den dunklen Tiefen der Grundfesten Phantásiens und schürfte geduldig nach einem vergessenen Traum, einem Bild, das ihn zum Wasser des Lebens führen konnte. 

Wenn wir das bei Michael Ende lesen, dann verstehen wir auf einmal auf eine ganz neue Weise Hugo von Hofmannsthals Weltgeheimnis!
Bastian klagte nicht und empörte sich nicht. Er hatte alles Mitleid mit sich selbst verloren. Er war geduldig und still geworden.
Natürlich wird hier der Weg beschrieben, den auch wir zu gehen haben. Wie der Knabe in Schillers Taucher müssen wir in die Tiefen unserer Seele absteigen, müssen lernen, zartfühlend mit unseren und den Träumen der Menschen umzugehen, müssen bereit sein, in das Dunkel, das auch unser Dunkel ist, abzutauchen, in die Nacht, ins Unbewusste. Müssen lernen, uns in dieser Tiefe, dieser Nacht zu bewegen ...

Hierzu bedürfen wir einer archetypischen Gestalt, den wir psychologisch unseren inneren Zauberer, unseren inneren Weisen nennen könnten.

Diese Gestalt hat jeder in sich. Wir brauchen sie, damit wir ohne Angst in die Tiefe steigen, wir brauchen sie, denn sie weiß um uns, um unser wahres Sehnen.
Wir können sie auch zu Hilfe rufen.
Dennoch kann dieser innere Zauberer uns nur begleiten, das Entscheidende müssen wir selbst tun, denn:

Das alles, was Bastian erlebt, ist nur dem möglich, der nicht jammert, der sich nicht selbst bemitleidet.


Wir ahnen, warum die göttliche Stimme in uns uns zuallererst gemahnt, mit unserem Selbstmitleid aufzuhören.


Wir lernen auf diesem Weg Geduld oder wir steigen vorzeitig aus.


Hier nun eine entscheidende Passage in Bastians Leben, wie sie Michael Ende zu Papier brachte:
Wie lange diese harte Zeit dauerte, lässt sich nicht sagen, denn solche Arbeit lässt sich nicht nach Tagen oder Monaten bemessen. Jedenfalls geschah es eines Abends, dass er ein Bild mitbrachte, das ihn auf der Stelle so sehr aufwühlte, dass er sich zurückhalten musste, keinen Überraschungslaut auszustoßen und damit alles zu zerstören.
Auf der zarten Marienglastafel - sie war nicht sehr groß, hatte nur etwa das Format einer gewöhnlichen Buchseite - war sehr klar und deutlich ein Mann zu sehen, der einen weißen Kittel trug. In der einen Hand hielt er ein Gipsgebiss. Er stand da und seine Haltung und der stille, bekümmerte Ausdruck in seinem Gesicht griffen Bastian ans Herz. Aber das, was ihn am meisten betroffen machte, war, dass der Mann in einen glasklaren Eisblock eingefroren war. Ganz und gar und von allen Seiten umgab ihn eine undurchdringliche, aber vollkommen durchsichtige Eisschicht.
Während Bastian das Bild betrachtete, das vor ihm im Schnee lag, erwachte in ihm Sehnsucht nach diesem Mann, den er nicht kannte. Es war ein Gefühl, das wie aus weiter Ferne herankam, wie eine Springflut im Meer, die man anfangs kaum wahrnimmt, bis sie näher und näher kommt und zuletzt zur gewaltigen, haushohen Woge wird, die alles mit sich reißt und hinwegschwemmt. Bastian ertrank fast darin und rang nach Luft. Das Herz tat ihm weh, es war nicht groß genug für eine so riesige Sehnsucht. In dieser Flutwelle ging alles unter, was er noch an Erinnerung an sich selbst besaß. Und er vergaß das Letzte, was er noch hatte: seinen eigenen Namen.
Als er später zu Yor in die Hütte trat, schwieg er. Auch der Bergmann sagte nichts, aber er blickte lange nach ihm hin, wobei seine Augen wieder wie in weite Ferne zu schauen schienen und dann ging zum ersten Mal in all dieser Zeit ein kurzes Lächeln über seine steingrauen Züge.
In dieser Nacht konnte der Junge, der nun keinen Namen mehr hatte, trotz aller Müdigkeit nicht einschlafen. Immerfort sah er das Bild vor sich. Ihm war, als ob der Mann ihm etwas sagen wollte, aber es nicht konnte, weil er in dem Eisblock eingeschlossen war. Der Junge ohne Namen wollte ihm helfen, wollte machen, dass dieses Eis taute. Wie in einem wachen Traum sah er sich selbst den Eisblock umarmen, um ihn mit der Wärme seines Körpers zum Schmelzen zu bringen. Aber alles war vergebens.
Doch dann hörte er plötzlich, was der Mann ihm sagen wollte, hörte es nicht mit den Ohren, sondern tief in seinem eigenen Herzen:
»Hilf mir bitte! Lass mich nicht im Stich! Allein komme ich aus diesem Eis nicht heraus. Hilf mir! Nur du kannst mich daraus befreien - nur du!«
Als sie sich am nächsten Morgen bei Tagesgrauen erhoben, sagte der Junge ohne Namen zu Yor:
»Ich fahre heute nicht mehr mit dir in die Grube Minroud ein.«
»Willst du mich verlassen?«
Der Junge nickte. »Ich will gehen und das Wasser des Lebens suchen.«
»Hast du das Bild gefunden, das dich führen wird?«
»Ja.«
»Willst du es mir zeigen?«
Der Junge nickte abermals. Beide gingen hinaus in den Schnee, wo das Bild lag. Der Junge sah es an, aber Yor richtete seine blinden Augen auf das Gesicht des Jungen, als blicke er durch ihn hindurch in eine weite Ferne. Er schien lange auf etwas hinzuhorchen. Endlich nickte er.
»Nimm es mit«, flüsterte er, »und verliere es nicht. Wenn du es verlierst oder wenn es zerstört wird, dann ist für dich alles zu Ende. Denn in Phantasien bleibt dir nun nichts mehr. Du weißt, was das heißt.«
Der Junge, der keinen Namen mehr hatte, stand mit gesenktem Kopf und schwieg eine Weile. Dann sagte er ebenso leise:
»Danke, Yor, für das, was du mich gelehrt hast.«
Sie gaben sich die Hände.
»Du warst ein guter Bergknappe«, raunte Yor, »und hast fleißig gearbeitet.«
Damit wandte er sich ab und ging auf den Schacht der Grube Minroud zu. Ohne sich noch einmal umzudrehen, stieg er in den Förderkorb und fuhr in die Tiefe.
Der Junge ohne Namen hob das Bild aus dem Schnee auf und stapfte in die Weite der weißen Ebene hinaus.
Bastian macht sich auf zu seinem Vater. Er macht sich auf, das Wasser des Lebens zu finden, um diesen Vater aus seinem eingefrorenen Zustand zu befreien, damit er ihn kennen lerne und wisse, wer sein Vater denn wirklich ist.

Damit unser Held dies leisten kann, müssen auch seine letzten alten Strukturen weichen. Michael Ende spricht symbolisch davon, dass Bastian seinen Namen vergisst.


Er ist bereit für einen neuen Namen, einen neuen Namen auf der geistigen Ebene. In seiner realen Welt wird er immer Bastian Balthasar Bux heißen.


Es gibt Menschen, die sich einen neuen Namen selbst geben oder auch sagen, er sei ihnen von einem geistigen Wesen gegeben worden. Oft klingen diese Namen indisch oder fernöstlich.


Ich persönlich halte von dieser Art von Namensgebung überhaupt nichts, weil ich mehr als einmal erlebt habe, dass diese sogenannten Eingebungen auf puren Einbildungen des spirituellen Ego dieser Menschen beruhen, die mehr sein möchten, als sie sind.


Unser realer Name trägt unsere Lebensenergie, und diese Lebensenergie hängt immer mit dem Kulturbereich zusammen, in den wir - nie zufällig - hineingeboren worden sind. Von daher sollte unsere Entwicklung eher dahin gehen zu erfahren, welche Bedeutung unser realer Name wirklich für uns hat; dabei ist eine Name wie Hans genauso bedeutungsvoll wie Johannes. Hans hat eine ganz andere Energie als Johannes und ein Mensch, der Hans heißt, wird eine andere Lebensenergie umsetzen als ein Johannes. – Beides ist gleichermaßen wertvoll.


Die Bedeutung des Geschehens um den Namen Bastians, das Michael Ende anspricht, hat zu tun mit jener Stelle aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 2, 17, in der es heißt:
Ich werde ihm einen weißen Stein geben, und auf den Stein einen neuen Namen geschrieben, welchen niemand kennt, als wer ihn empfängt.
Im Griechischen gibt es relativ viele Wörter, die Stein bedeuten, u. a. pétra, líthos, báros.

Im griechischen Text des Neuen Testamentes finden wir das Wort pséphos. Dieses Wort steht für den Stimmstein, mit dem der Teilnehmer einer abstimmungsberechtigten Versammlung seine Stimme abgeben konnte, wobei es weiße und schwarze Steine gab. In der Athener Volksversammlung, der ekklesía, löste dieses Abstimmungsverfahren mit einer Steinabgabe das per acclamatio, also per Klatschen oder Handheben zuzustimmen, ab. So kommt es, dass, in Anlehnung an pséphos, der Vorgang des Abstimmens als psephízein bezeichnet wurde.


Wenn in der Bibel von diesem Stein die Rede ist, so bedeutet das auch, dass Gott für den, den es betrifft, seine Stimme abgibt.


Mehr geht in religiösem Sinne nicht.


Und dieser Stein ist weiß, genauer gesagt - denn leukós bedeutet auch glänzend, licht: Es ist ein weiß glänzender, ein lichtvoller Stein.


Indem Bastian seinen Namen verliert, wird er bereit für ein neues Bewusstsein, es ist Raum geschaffen für einen neuen Namen, den nur er kennt, so heißt es ausdrücklich in der Bibel; er kennt ihn, und natürlich Gott, der ihn mit ihm auszeichnete.

Immer wieder greift Michael Ende auf mythologische und biblische Symbolik zurück, wohl wissend, dass sie einen tiefen wahren Gehalt hat; durch die umfassenden Arbeiten von Mircea Eliade und C.G.Jung wissen wir, wie wahr das ist.

Machen wir uns also, falls wir das noch nicht getan haben, auf, unseren Vater in uns zu erlösen.
Das kann auf die unterschiedlichsten Arten geschehen, auch dadurch, dass wir ihn der Gerechtigkeit Gottes übergeben, wenn Schlimmes geschehen ist. Wenn dies auf die richtige Weise in uns geschieht, dann geschieht es ohne Groll.

Bastian wird seinen Vater finden. Aber das ist ein weiterer, ein letzter Abschnitt in der Unendlichen Geschichte.

PS Eins möchte ich noch nachtragen: 
Zu meiner Mutter, die nun schon bald zwanzig Jahre nicht mehr auf dieser Erde ist, habe ich ein wunderbar schönes Verhältnis. Sie hat mir von da, wo sie jetzt ist, schon sehr geholfen – aber das ist eine andere Geschichte.
Und zu meinem Vater, der auch schon viele Jahre gestorben ist, möchte ich sagen, dass ich mir ziemlich, um nicht zu sagen: sehr sicher bin, dass er jeden meiner Schritte genau sieht, sich ansieht.
Ich glaube, er macht Schritte auf mich zu, Schritte, die er in unserer gemeinsamen Erdenzeit nicht gehen konnte. Darüber freue ich mich sehr.