Gerade in jüngster Zeit habe ich das mehrfach erlebt und es könnte ein Indiz dafür sein, dass wir auf dieses Phänomen als Lehrer und Erzieher zunehmend treffen werden:
dass Kinder und Jugendlichen partiell - und dann meist zunehmend mehr - nicht in ihrem jugendlichen Ich leben, sich also als Kind und Jugendlicher erleben, sondern in einem von den eigenen Eltern vorprojektierten und projizierten Erwachsenen-Ich; ja, im Extremfall kopieren diese Kinder ein rigides Eltern-Ich, eine verhärtete Form des Erwachsenen-Ichs.
Bekannt ist, dass zunehmend Eltern ihr Kind bevorzugt als gleichwertigen Partner sehen oder als Partner-Ersatz, ja, als verlängerten eigenen intellektuellen Arm, um ein Bild Michael Winterhoffs zu übernehmen. Sie sprechen dann mit ihm eine Sprache, die ihm nicht angemessen ist. In der Regel gelingt diese unnatürliche Rollenzuweisung dadurch, dass sie dem Kind bzw. Jugendlichen Begriffe infiltrieren, die nicht zu dessen Welt- und Sprachverständnis gehören. Darunter finden sich gern z.B. Fremd-Worte oder auch Fachvokabular aus dem psychologischen Bereich.
Wenn bei den Eltern Gefühlsarmut vorherrscht - und sie kann auch vorliegen, wenn ein oder beide Elternteile bestens über Gefühle reden können - und sie diese Gefühlsarmut mit übertriebener Linkshirnigkeit kompensieren, also mit einer Weltsicht verbinden, die das gesamte Lebensmanagement an den Verstand abtritt, dann sind Kinder in besonders hohem Maße gefährdet.
Väter agieren dann auch gerne in dem Bereich digitaler Welten mit ihren Kindern, vor allem mit ihren Söhnen; der andere Bereich verarmt, oft, weil sie ihn selbst nicht leben können - und wie gesagt, das ist unabhängig, was der Vater beruflich macht, er kann Psychologe, Theologe, Lehrer oder Lagerarbeiter sein.
Eine Folge dieser Erziehung ist also, dass Heranwachsende einen Wortschatz aufweisen, den Kinder und Jugendliche dieses Alters nicht verwenden; sie verwenden aber auch Argumentationsstrategien, die ihrem Alter ganz und gar nicht entsprechen. Dem Lehrer gegenüber treten sie mit dem Bewusstsein eines Erwachsenen auf. Nicht selten drängen sie ihn in die Schülerrolle; er hat dann ihre Fragen zu beantworten. Tut er das nicht, reagieren sie empört oder beleidigt und/oder verwickeln ihn auf meist unglaublich geschickte Weise in Diskussionen.
Man muss dieses Verhalten einordnen können, um angemessen darauf zu reagieren.
Erlebt man Eltern solcher Jugendlicher, dann sind diese oft sichtlich stolz, dass ihr Kind sich so gewählt und gestelzt ausdrückt; ja, ich habe es erlebt, dass eine Mutter förmlich an den Lippen ihres Kindes hing, um zu hören, was es nun wieder (Alt-)Kluges sagen wird.
Gleichzeitig kann man in solchen Gesprächen erleben, dass Eltern ihren Kindern entsprechende Worte lancieren, soufflieren.
Das alles ist erschreckend, erschreckend verantwortungslos. Erwachsene betreiben mittels ihrer Kinder Ersatzbefriedigung. Das ist nicht nur höchst narzisstisch, sondern ein Missbrauch von Kindern.
Kinder und Jugendliche leben dieses Erwachsenen-Ich zwar nur partiell und vor allem auch in Gesprächen und Auseinandersetzungen mit Erwachsenen, dennoch aber lässt sich leider festhalten, dass damit ein Verlust ihres Kindseins einhergeht, ein nicht zu wiedergutmachender Schaden, der hier der Seele entsteht, weil er sich nicht nur gravierend auswirkt auf das gegenwärtige Leben, sondern auch auf das Verhalten solch geschädigter Kinder und Jugendlicher gegenüber eigenen Kindern, die sie einmal erziehen werden.
Schrecklich, wenn diese Kinder Erzieher werden; sie werden einer einseitig rationalisierten Erziehung das Wort reden, wie sie bei uns in erschreckendem Ausmaß ohnehin schon vorliegt. Vor allem werden sie Kinder, die ihr KindSein mit allen Facetten leben wollen, nicht verstehen; gerade auch, wenn diese musisch orientiert sind.
Das ist unabhängig davon, ob sie selbst beispielsweise ein Musikinstrument spielen.
Wenn es den betroffenen Heranwachsenden nicht gelingt aufzuarbeiten, was ihre Eltern in ihnen angerichtet haben, perpetuiert sich möglicherweise dieses Verhalten über Generationen mit Folgen, nicht nur für die Familie, sondern für die Gesellschaft.
Eltern werden im Übrigen nicht selten selbst Opfer ihrer (un)bewussten Erziehungsstrategie, wenn ihr Kind mit ihnen Diskussionen beginnt über Dinge, bezüglich deren es im Rahmen einer Erziehung eigentlich nichts zu diskutieren gibt; ob sie dann ihre eigenen Fehler erkennen wollen, hängt von ihrer Bereitschaft ab, aus dem zu lernen, was ihnen begegnet und Kummer bereitet.
Übrigens findet man Kinder, die schon mit 9 oder 10 Jahren auf diese Weise erfolgreich agieren.
Oft allerdings wechseln Eltern dann einfach die Strategie:
Wenn ihre eigenen Kinder sie selbst zu Kindern machen, werden sie überraschend tolerant.
Sie bringen es dann noch fertig, ihre Schwäche als menschliche Größe zu verkaufen.
In der Schule erlebt man als Lehrer dann, dass Eltern nicht über das Verhalten der Kinder mit dem Lehrer sprechen, sondern Maßnahmen des Lehrers in Frage stellen und anzweifeln. Andernfalls müssten sie sich ja darüber Gedanken machen, was in ihrer Erziehung falsch gelaufen ist; das tun sie sehr selten!
Im Extrem habe ich erlebt, dass eine Mutter, selbst Lehrerin, ihrem Kind verbot, eine erzieherische Maßnahme, die ihm von seinem Lehrer aufgetragen worden war, auszuführen, obwohl ihr Kind unter Zeugen den Lehrer beleidigt hatte. Sie glaubte ihrem Kind, das eine andere Version kreiert hatte. Was blieb ihr auch anders übrig, wenn sie erfolgreich ihre Selbsttäuschung fortsetzen wollte.
Wenn dann Schulleiter womöglich dem Lehrer nicht den notwendigen Rückhalt geben, bilden möglicherweise solche Kinder und Eltern in einer Institution mit Gleichgesinnten eine Front, die diese pädagogische Einrichtung zerstören kann.
Mein Eindruck ist, ja, für mich ist es eine Gewissheit, dass unter den Verantwortlichen, die die Lehrpläne gestalten, zumeist Erwachsene sitzen, die nie eine richtige Kindheit erlebt haben; sonst könnte nicht geschehen, dass Kinder unter einen solchen intellektuellen Stress gesetzt werden, wie das geschieht und wie ich es in Baden-Württemberg im Rahmen des neu eingeführten G8 erlebe.
Unter dem Deckmantel zunehmender Liberalisierung des Schulwesens lässt sich sehr geschickt Pädagogik in der gewünschten Richtung reglementieren, indem Schulen untereinander in Wettbewerb gesetzt werden oder durch zentrale Prüfungsvorgaben Normen und Inhalte eingefordert werden, die Lehrer dazu zwingen, im Schulalltag den entsprechenden Vorgaben gerecht zu werden.
Ich sehe auch den Vorschlag von Frau Schavan, den Schulen mehr Eigenständigkeit geben zu wollen, ganz eindeutig in diesem Licht.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Zeit, die sich beschäftigen mit der Rolle von Gefühl und Intuition und emotionaler Intelligenz, Phänomene, die in weit größerem Ausmaß unsere Wirklichkeit bestimmen, als das manche Menschen aus verständlichen Gründen - man muss ja auch deren Kindheit und Erziehung berücksichtigen - wahrhaben wollen, sind an dieser Bildungsministerin vorbeigegangen. Gewiss hat sie darüber gelesen; aber ich halte sie aus Gründen ihrer Persönlichkeit nicht dazu in der Lage umzusetzen, dass endlich Herz und Verstand in unserer Bildung ein Verhältnis eingehen, das zum Segen der Kinder und der Gesellschaft gereicht.
Ich bin in unserer momentanen Bildungslandschaft durchaus für zentrale Prüfungsvorgaben, durchaus auch bundesweit, aber sie müssen es dem einzelnen Lehrer erlauben, seine Individualität zum Wohl der Kinder einbringen zu können, und sie müssen es erlauben, der individuellen Zusammensetzung einer Klasse gerecht zu werden; jedes Kind, jede Klasse ist anders und es muss möglich sein, dem Rechnung tragen zu dürfen. Das zu tun ist zunehmend nicht mehr möglich, zumindest in Baden Württemberg nicht.
Nach außen sieht alles so liberal und modern, so aufgeschlossen aus; doch ist der Wein in den neuen Schläuchen schon längst vergoren und absolut ungenießbar.
Es herrscht der Geist der Kontrolle, nicht des Vertrauens.
Nur der Geist des Vertrauens ermöglicht es Menschen, ihre wahre Größe zu entwickeln; dann werden möglicherweise auch zentrale Prüfungen nicht mehr notwendig sein.
Erziehung soll nicht Nachwuchs heranzüchten für den Arbeitsmarkt, sondern will ein Kind zu dem Bewusstsein (er)ziehen, von dem aus es seine ganz spezifischen Fähigkeiten zunehmend selbständig entfalten kann.
Warum nur trägt der Arbeitsmarkt, wenn viele Politiker über ihn reden, menschlichere und lebendigere Züge als die dort tätigen Menschen, die, wenn dieselben Personen über sie reden, merkwürdig blutleer und entseelt wirken. – Die Antwort ist so denkbar wie einfach. Leider.
Bildung kann Menschen programmieren wollen zu einem Menschsein, das vorgegeben wird von Leuten, die, ohne es zu merken, nur ein sehr reduziertes Leben leben.
Eine Gesellschaft kann ein Kaleidoskop wunderbarer Menschen sein; unser normiertes Bildungssystem erlaubt das nur in Ansätzen und ermöglicht es nur Kindern, die viel Unterstützung von zu Hause haben oder als Persönlichkeit ungewöhnlich stark sind.
Erst im letzten Schuljahr musste ich erleben, dass ein hochbegabtes Kind das Gymnasium verließ, weil es dem normierenden Druck nicht mehr gewachsen war und daran zerbrochen wäre. – Ich wünsche ihm sehr, dass es dennoch seine wunderbaren Begabungen wird entfalten können.
Gerade in einer Zeit wie der unseren, in der Wissen förmlich explodiert und in der ich erlebe, dass Kinder ein unglaubliches Potential besitzen können, ist es wichtig, dass diese Engstirnigkeit in der Erziehung endlich aufhört, die basiert auf kranken Programmierungen der Erziehenden
Mögen Menschen erziehen und Lehrpläne gestalten, denen es darum geht, dass Kinder und Jugendliche Freiräume leben und sogar neue erschließen, dass sie Körper, Seele und Geist als eine Einheit begreifen ebenso wie Liebe und Selbstliebe und dass sie zugleich lernen, dass lebenswertes Leben Wertschätzung gegenüber der Unversehrtheit des Anderen und Respekt vor den notwendigen Gesetzen einer Gesellschaft, deren Institutionen und Organen voraussetzt.
Natürlich ist es am allerbesten, wenn Erwachsene das vorleben!
In diesem Blog veröffentliche ich Buchauszüge, Gedichte und eigene Gedanken zum Thema des inneren Kindes und des Kindseins überhaupt.
Eigentlich haben wir viele innere Kinder in uns: solche voller Energie, aber auch verletzte und sterbende Kinder, die wieder zu wirklichem Leben erweckt sein wollen ...
Ohne lebendige innere Kinder sind Erwachsene ohne wirkliche Individualität und oft nicht fähig zu spielen und kreativ zu sein ... Wie also die Kinder in uns wahrnehmen, wie mit ihnen umgehen?
Samstag, 7. November 2009
Wenn Kinder und Jugendliche aus einem Erwachsenen-Ich oder sogar aus einem rigiden Eltern-Ich heraus agieren ...
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