In diesem Blog veröffentliche ich Buchauszüge, Gedichte und eigene Gedanken zum Thema des inneren Kindes und des Kindseins überhaupt.
Eigentlich haben wir viele innere Kinder in uns: solche voller Energie, aber auch verletzte und sterbende Kinder, die wieder zu wirklichem Leben erweckt sein wollen ...
Ohne lebendige innere Kinder sind Erwachsene ohne wirkliche Individualität und oft nicht fähig zu spielen und kreativ zu sein ... Wie also die Kinder in uns wahrnehmen, wie mit ihnen umgehen?

Sonntag, 31. März 2013

"Ich war tot und sieh ich lebe; / leben, leben sollst auch Du" – eine Kindheitserinnerung


Guercino (1591-1666): Der ungläubige Thomas

Dank meiner Eltern durfte - oder sagen wir: musste - ich jeden Sonntag in die Kirche gehen. Ihre Religiosität war für mich oft ziemlich qualvoll, wohl, weil ich schon damals unbewusst wusste, dass manche Leute so religiös tun, weil sie die eigene Lieblosigkeit durch die Liebe Gottes kaschieren wollen - fatal für ein Kind, das diese Lieblosigkeit spürt und sie doch für Liebe halten muss, erst recht, weil es doch nicht sein kann, dass der liebe Gott von Eltern verehrt und angebetet wird, die diese Liebe gar nicht in sich tragen.
Ich würde nie, wie Tilman Moser sein Buch, das auf diese sogenannte religiöse Erziehung eingeht und die Ängste, die sie erzeugt, Gottesvergiftung nennen. Denn solch ein Wort setzt sich wie ein Mantra im Unbewussten fest. Und ob man an Gott glaubt oder nicht: Ersterer kann nichts für die Lieblosigkeit von Menschen.
Heute sehe ich natürlich auch, dass meine Eltern nur das "Liebe" nennen konnten, was ihnen aufgrund ihres Elternhaus möglich war. In einer Familienaufstellung musste ich erkennen, dass in meiner Familie niemand, weder meine Schwestern noch meine Eltern, mich anschauten. Im Grunde prägt das ein Kind, wenn es nicht aufgearbeitet werden kann, bis an sein Lebensende, die Tatsache nämlich, die es aus diesem Tatbestand schließt, dass es nicht wert ist, angeschaut zu werden. – Am besten scheint doch zu sein, jeder guckt in seine Richtung.

Im Nachhinein positiv für mich ist, dass ich aufgrund meiner religiösen Erziehung eine Bibelkenntnis besitze, die manchem Theologen gut anstünde. Und die Bibel ist, wenn auch an der ein oder anderen Stelle von Luther unsachgemäß übersetzt und womöglich auch an der ein oder anderen Stelle gefälscht, ein Buch höchster Weisheit und höchster Liebe, allein, wenn ich an das Hohelied Salomos denke, eines der schönsten Liebeslieder, die wir Menschen besitzen.

Es gibt auch Momente im Rahmen dieser Erziehnung, die mich bis heute - wie ich finde - positiv prägen:
Es gab nämlich einen besonderen Moment im Verlauf des Kirchenjahres, der mir immer einen Schauer über den Rücken hat laufen lassen, und zwar einen gewaltigen, und ich bin sicher, dass ich deshalb extra nochmal nach Frankfurt in die Nord-Ost-Gemeinde fahre, und zwar in den Ostersonntags-Gottesdienst.

An dessen Ende wurde von der Gemeinde nämlich immer ein Lied gesungen, dessen Text in das Gesangbuch eigens für diese Gelegenheit eingeklebt war (hoffentlich heute auch noch) und von einem mittlerweile wenig bekannten Lyriker und evangelischen Prediger stammt, Friedrich Mohn (1762-1830); immerhin ist in Ratingen eine Straße nach ihm benannt, weil er dort zu seiner Zeit tätig war. 

Vertont hat das Lied Karl Gotthelf Gläser (1781-1830); ich fand den Text und die Vertonung unglaublich berührend! – Auch heute geht es mir noch so, wenn Worte und Melodie in mir aufklingen.

Vor allem die letzte Strophe. Und das hat einen ganz simplen und doch wahnsinnig mächtigen Grund:

Die Nord-Ost-Gemeinde hatte sich zu der Zeit, als wir dort in den Gottesdienst gingen, eine neue Orgel zugelegt im Zusammenhang mit dem Neubau der Kirche. Im Nachhinein kommt es mir so vor, als sei diese Orgel für die Kirche sehr großzügig ausgelegt gewesen (ich hoffe, sie gibt es heute noch). Denn wenn der Organist die entsprechenden Register zog, bebten die Kirchenmauern und die Empore schien mir klein und kleiner zu werden und kaum mehr in der Lage, die Orgel tragen zu können.
Jedenfalls: Immer in der letzten Strophe dieses im Folgenden abgedruckten Liedes war das der Fall – ein kurzer geübter Griff des Organisten in die Registratur, und die Kirche verwandelte sich in ein gewaltiges Meer aus Tönen. Auf diesen Moment wartete ich das ganze Jahr: Das war so ein gewaltiger Sound, einfach unglaublich; das muss man erlebt haben, wenn eine große Orgel braust und alles gibt. Das ist Gänsehaut-Feeling. Klar, da muss sich jedes Grab öffnen. 

Ich hatte immer den Eindruck: Nun muss wirklich alles auferstehen. Auch ich! 
Es war ein Moment, es waren Minuten, an die werde ich mich noch im nächsten Leben erinnern.
Ich weiß, zur Auferstehung muss man aufstehen, innerlich und durchaus auch im Außen; Liebe im Fernsehsessel oder vor dem Computer zu verstecken, dafür ist das Leben zu schade (Marie Luise Kaschnitz hat, wie ich finde, ein bemerkenswertes Gedicht dazu geschrieben).

Hier nun der Lied-Text:

Auferstanden,
auferstanden ist der Herr
|: und in ewgem Lichtgewande
der Verklärung wandelt er. :|

Keiner bebe!
Der Erhöhte ruft uns zu:
|: Ich war tot und sieh ich lebe;
leben, leben sollst auch du. :|

O ihr Gräber, 
nein vor euch erbeb ich nicht,
|: weil des Höhern Lebens Gabe
euch erhellt mit seinem Licht. :|

Und nun das Brausen wie vom Himmel :-)

Auferstehen, 
auferstehen werd auch ich
|: und den Auferstandnen sehen,
denn er kommt und wecket mich. :|


2013 ist ein besonderes Ostern: Es ist so kalt wie seit Jahrzehnten nicht mehr und für mich, der ich daran glaube, dass uns zufällt, was wir selbst bewirken, ist dies kein "Zufall".
Ich vermute, dass viele Menschen auf der bewussten oder auch unbewussten Ebene darum wissen, was das zu bedeuten hat: In Wirklichkeit ist es der Liebe so kalt, so sehr friert sie, selbst an Ostern! (Hier habe ich dazu mehr geschrieben).

Wie notwendig, dass die Liebe in uns aufersteht! Nicht die Liebe, die wir für eine solche halten, sondern die Liebe, die Leben bedeutet und von der damit gerade in obigem Lied die Rede ist.

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