In diesem Blog veröffentliche ich Buchauszüge, Gedichte und eigene Gedanken zum Thema des inneren Kindes und des Kindseins überhaupt.
Eigentlich haben wir viele innere Kinder in uns: solche voller Energie, aber auch verletzte und sterbende Kinder, die wieder zu wirklichem Leben erweckt sein wollen ...
Ohne lebendige innere Kinder sind Erwachsene ohne wirkliche Individualität und oft nicht fähig zu spielen und kreativ zu sein ... Wie also die Kinder in uns wahrnehmen, wie mit ihnen umgehen?

Dienstag, 27. Mai 2008

Von der Suche und Sucht nach der Mutter

Frage 11) Sehnen Sie sich am meisten nach oralem Sex und haben Sie entsprechende Phantasien?

Im ersten Moment war ich ziemlich entgeistert, als ich diese Frage in John Bradshaws Das Kind in uns las. Im Rahmen des Kapitels "Wie man sein frühkindliches Ich zurückgewinnt" lässt Bradshaw seine Leser einen Fragebogen zur Analyse möglicher Verletzungen in Bezug auf das innere Kind ausfüllen.

Frage 4) z.B. lautet: Können Sie Körpersignale, die Bedürfnisse anzeigen, nicht erkennen? Essen Sie zum Beispiel, obwohl Sie keinen Hunger haben? Oder merken Sie häufig nicht, wie müde Sie sind?", oder:

Frage 1) Leiden Sie jetzt oder haben Sie in der Vergangenheit unter einer oralen Sucht gelitten (Exzesse im Hinblick auf Essen, Trinken, Drogen)?
Drei Bemerkungen vorab: 

- Ja, ich bin ein bekennender Bradshaw-Fan und sein oben erwähntes Buch ist unter den Büchern zum Thema, die ich kenne, für mich das beste und am authentischsten – ich spüre die Person Bradshaws, sein ehrliches Schreiben und seine vielen Erfahrungen mit sich in seinen Zeilen.
- Es gibt niemanden, dessen inneres Kind nicht vielfache Verletzungen erlitten hat.

- Zunächst fand ich Frage 11) einfach doch zu indiskret und unangemessen. Im Grunde ist sie aber durchaus logisch und gehört auch an diese Stelle des Buches.
Immer dann, wenn ein Bedürfnis nicht gestillt wurde, suchen wir – womöglich ein Leben lang -, dieses Bedürfnis zu stillen. Und wenn uns die Mutter auf Grund eigener Verletzungen die Brust entzog, wenn uns bei anderer Gelegenheit gesagt wurde, dass das ä-bäää sei, was wir da in den Mund nehmen wollten, dann erlitten wir unsere Verletzungen. Denn als Kind z.B. bezogen wir dieses ä-bäää auf den Mund und nicht auf die Ecke des Staubsaugerbeutels, die wir gerade in den Mund nehmen wollten.
Süchte gehen häufig zurück auf Traumata, die wir als Kind erlebten und oft gibt die Art der Sucht Aufschluss über den Bereich und den ungefähren kindlichen Zeitpunkt der Verletzung; auch für die gesellschaftlich sich in den letzten Jahren austobende Sex-Sucht gilt dies meines Erachtens.
Unser Saugen an der Brust war eine notwendige Verbindung zu unserer Mutter, nachdem wir uns monatelang in ihr geborgen gefühlt hatten, ein Verschmelzen mit ihr auf diese Weise und zugleich ein sachtes Abschiednehmen, doch konnten wir ja mitnehmen, was sie uns gab, z.B. ihre Liebe und Vertrauen ins Leben. Immer mehr haben wir uns in der Folge von ihr gelöst und irgendwann war diese stille Zeit, diese Still-Zeit auch vorbei, aber sie war wichtig.
Wenn in dieser Phase eine Störung auftrat, dann kann sich das äußern in oralen Süchten, eben in dem Nachholen-Wollen, was einem versagt wurde.
Es mag sicherlich ein großer Schritt sein (aber aus Zeit- und Platzgründen tue ich das hier nun), wenn ich sage, dass ein Mann, der in seinen Beziehungen nicht wirklich eine reife Frau sucht, sondern seine Mutter, in Wirklichkeit diese Geborgenheit und dieses Vertrauen sucht, das er gebraucht hätte, vermittelt durch die Mutter, um vertrauensvoll ins Leben starten zu können. 

Die Befriedigung oraler Süchte vermittelt ihm für Bruchteile seines Lebens die Illusion, der Befriedigung dieser Bedürfnisse nahe zu kommen, doch es ist eine Illusion.
Ein Kind, dem diese Erfahrung der Geborgenheit und des Vertrauens fehlt, wird später, so beschreibt es Erich Fromm in "Die Seele des Menschen", Lebensangst haben.
Wie seine Mutter, die ihre lebensfeindliche Einstellung auch nicht aus sich heraus gerierte, sondern ebenfalls frühkindlich übernommen hatte.
Solche Weitergaben zu unterbrechen und uns und unsere Kinder zu heilen: Das ist eine unserer wesentlichen Lebensaufgaben.

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