Wer den Beginn der Geschichte um Momo kennt, weiß, dass sie eines Tages in der Ruine des Amphitheaters vor der Stadt auftaucht. Die Leute erfahren von ihr und kommen und fragen sie aus, fragen auch nach ihren Eltern, ernten aber nur ein Schulterzucken und als sie fragen, wer ihr denn ihren Namen gegeben habe, antwortet Momo: Ich.
In den Mythen sind Helden oft Waisen oder zumindest Halbwaisen. Auch in den Märchen ist es ja oft so, dass der Vater krank wird, die Mutter stirbt ... auf einmal ist der Held allein.
So allein ist auch Momo.
Viele Menschen haben Vater und Mutter, in Wirklichkeit sind sie aber doch allein.
Das ist schlimm, schlimmer als Waise zu sein. Denn keinen Vater und Mutter zu haben, wenn man glaubt, man habe welche, kann ein Leben lang undurchschaubar sein. Zwei Hohlräume, die man für Vater und Mutter hält.
Jeder Mensch muss überprüfen, ob er Vater und Mutter hat.
Wenn sie fehlen, fehlt etwas in uns, was uns erwachsen werden lässt.
Wenn sie fehlen, ist die Linie zu den Ahnen gestört. Und wie wichtig diese Linien sind, wissen wir spätestens seit Hellinger und seinen Familienaufstellungen. Wer im Rücken seine Ahnen hat, ist stark, wer sie nicht hat, läuft Gefahr, auf den Rücken zu fallen. Es macht einen tiefen Sinn, dass im Alten Testament immer wieder die Reihe der Ahnen aufgelistet werden. Früher hielt ich das für Papierverschwendung. Heute weiß ich, dass jeder Ahne eine Bedeutung hat. Es geht nicht darum, dass wir ihn in einem vordergründigen Sinn kennen, es geht darum, dass er eine Sprosse auf jener Leiter ist, auf der wir uns zum Himmel strecken.
Zudem ist die Gefahr riesig, dass eine Frau sich einen Mann sucht, der Vater für sie sein soll, und genauso besteht die Gefahr, dass ein Mann sich eine Frau sucht, die Mutter sein soll.
Nicht, dass diese Ehen unglücklich sein müssen, aber wirkliches Glück ist nur in einer symmetrischen Beziehung zu finden, nicht in einer zwischen Kind und Elternteil.
Momo findet in Meister Hora einen Vater:
Sie stürzte auf ihn zu, er nahm sie auf den Arm und sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. Wieder legten sich seine Hände schneeleise auf ihre Augen und es wurde dunkel und still und sie fühlte sich geborgen.
Dieses Gefühl der Geborgenheit und bedingungslosen Liebe, das braucht jeder Mensch. Auch der verlorene Sohn im biblischen Gleichnis hat es bei seiner Rückkehr erlebt, dieses bedingungslose Auf- und Angenommensein.
Wer dieses Gefühl nicht kennt, muss es nacharbeiten. Ich glaube, man kann das. Sonst fällt ein Mann immer wieder auf Vaterfiguren herein und fährt auf sie ab, ohne es zu merken. Und auch eine Frau sucht primär den Vater im Mann und nicht den ebenbürtigen Partner.
Sorgfältig bei einer möglichen Nacharbeit müssen wir unterscheiden, ob wir nur Ersatzfiguren gesucht und gefunden haben oder ein wirkliches Vorbild, das uns sagen lässt: Diese Energie erfüllt meine Seele.
Ansonsten bleibt ewig eine Sehnsucht.
Eben eine Sucht.
Ansonsten bleibt ewig eine Sehnsucht.
Eben eine Sucht.
Sonst finden wir kein Vaterhaus.
Kein Mutterhaus.
Und können auch unseren Kindern keines geben.
Auch unseren inneren Kindern nicht.
Mehr zu Michael Endes Momo: hier
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