In diesem Blog veröffentliche ich Buchauszüge, Gedichte und eigene Gedanken zum Thema des inneren Kindes und des Kindseins überhaupt.
Eigentlich haben wir viele innere Kinder in uns: solche voller Energie, aber auch verletzte und sterbende Kinder, die wieder zu wirklichem Leben erweckt sein wollen ...
Ohne lebendige innere Kinder sind Erwachsene ohne wirkliche Individualität und oft nicht fähig zu spielen und kreativ zu sein ... Wie also die Kinder in uns wahrnehmen, wie mit ihnen umgehen?

Dienstag, 27. Mai 2008

Von der Suche und Sucht nach der Mutter

Frage 11) Sehnen Sie sich am meisten nach oralem Sex und haben Sie entsprechende Phantasien?

Im ersten Moment war ich ziemlich entgeistert, als ich diese Frage in John Bradshaws Das Kind in uns las. Im Rahmen des Kapitels "Wie man sein frühkindliches Ich zurückgewinnt" lässt Bradshaw seine Leser einen Fragebogen zur Analyse möglicher Verletzungen in Bezug auf das innere Kind ausfüllen.

Frage 4) z.B. lautet: Können Sie Körpersignale, die Bedürfnisse anzeigen, nicht erkennen? Essen Sie zum Beispiel, obwohl Sie keinen Hunger haben? Oder merken Sie häufig nicht, wie müde Sie sind?", oder:

Frage 1) Leiden Sie jetzt oder haben Sie in der Vergangenheit unter einer oralen Sucht gelitten (Exzesse im Hinblick auf Essen, Trinken, Drogen)?
Drei Bemerkungen vorab: 

- Ja, ich bin ein bekennender Bradshaw-Fan und sein oben erwähntes Buch ist unter den Büchern zum Thema, die ich kenne, für mich das beste und am authentischsten – ich spüre die Person Bradshaws, sein ehrliches Schreiben und seine vielen Erfahrungen mit sich in seinen Zeilen.
- Es gibt niemanden, dessen inneres Kind nicht vielfache Verletzungen erlitten hat.

- Zunächst fand ich Frage 11) einfach doch zu indiskret und unangemessen. Im Grunde ist sie aber durchaus logisch und gehört auch an diese Stelle des Buches.
Immer dann, wenn ein Bedürfnis nicht gestillt wurde, suchen wir – womöglich ein Leben lang -, dieses Bedürfnis zu stillen. Und wenn uns die Mutter auf Grund eigener Verletzungen die Brust entzog, wenn uns bei anderer Gelegenheit gesagt wurde, dass das ä-bäää sei, was wir da in den Mund nehmen wollten, dann erlitten wir unsere Verletzungen. Denn als Kind z.B. bezogen wir dieses ä-bäää auf den Mund und nicht auf die Ecke des Staubsaugerbeutels, die wir gerade in den Mund nehmen wollten.
Süchte gehen häufig zurück auf Traumata, die wir als Kind erlebten und oft gibt die Art der Sucht Aufschluss über den Bereich und den ungefähren kindlichen Zeitpunkt der Verletzung; auch für die gesellschaftlich sich in den letzten Jahren austobende Sex-Sucht gilt dies meines Erachtens.
Unser Saugen an der Brust war eine notwendige Verbindung zu unserer Mutter, nachdem wir uns monatelang in ihr geborgen gefühlt hatten, ein Verschmelzen mit ihr auf diese Weise und zugleich ein sachtes Abschiednehmen, doch konnten wir ja mitnehmen, was sie uns gab, z.B. ihre Liebe und Vertrauen ins Leben. Immer mehr haben wir uns in der Folge von ihr gelöst und irgendwann war diese stille Zeit, diese Still-Zeit auch vorbei, aber sie war wichtig.
Wenn in dieser Phase eine Störung auftrat, dann kann sich das äußern in oralen Süchten, eben in dem Nachholen-Wollen, was einem versagt wurde.
Es mag sicherlich ein großer Schritt sein (aber aus Zeit- und Platzgründen tue ich das hier nun), wenn ich sage, dass ein Mann, der in seinen Beziehungen nicht wirklich eine reife Frau sucht, sondern seine Mutter, in Wirklichkeit diese Geborgenheit und dieses Vertrauen sucht, das er gebraucht hätte, vermittelt durch die Mutter, um vertrauensvoll ins Leben starten zu können. 

Die Befriedigung oraler Süchte vermittelt ihm für Bruchteile seines Lebens die Illusion, der Befriedigung dieser Bedürfnisse nahe zu kommen, doch es ist eine Illusion.
Ein Kind, dem diese Erfahrung der Geborgenheit und des Vertrauens fehlt, wird später, so beschreibt es Erich Fromm in "Die Seele des Menschen", Lebensangst haben.
Wie seine Mutter, die ihre lebensfeindliche Einstellung auch nicht aus sich heraus gerierte, sondern ebenfalls frühkindlich übernommen hatte.
Solche Weitergaben zu unterbrechen und uns und unsere Kinder zu heilen: Das ist eine unserer wesentlichen Lebensaufgaben.

Freitag, 23. Mai 2008

Innere Kinder können eine Schreckensherrschaft ausüben

Die Gedanken, die Eltern und Lehrer denken anlässlich von Kinderaussagen, seien es Bitten, Forderungen oder Proteste, seien es Wünsche oder Vorschläge, sind oft nicht eigene Gedanken. Ohne dass wir es wissen, laufen wir Gefahr, die Spurrillen auf der erzieherischen Platte unserer Eltern und Vorfahren fortzusetzen.

"Kann ich ein Eis haben", fragt die Tochter die Mutter (und es ist knalleheiß in der Innenstadt …)
"Ja, okay, es ist ja wirklich heiß."
Die Tochter freut sich.
"Aber dann gibt´s heute keins mehr", fügt die Mutter noch hinzu.

Das sind nicht wirklich die Gedanken der Mutter, die eigentlich ihrer Tochter ohne Einschränkung eine Freude gönnt.
Es sind die Worte, die sie zu hören bekommen hat, als sie Kind war. Und es ist ein machtvolles traditionelles Gebot, Kindern immer Schranken setzen zu müssen, damit es ihnen nicht zu gut geht. Sie könnten ja sonst ständig weiter etwas wollen oder fordern.

Beobachten wir unsere Gedanken, die uns durch den Kopf gehen, wenn wir Verhalten von Kindern interpretieren, einordnen, bewerten. Sie haben oft wenig mit der Realität des Kindes, dem wir aktuell begegnen, zu tun, wenig mit der aktuellen Beziehung zwischen Mutter und Tochter, sondern mit Gedanken, die sich aus der Vergangenheit der Mutter bzw. unserer ergeben..
Indem die Gedanken weiter in den Spurrillen der Vergangenheit der Mutter und ihren kindlichen Erfahrungen laufen, werden sie tatsächlich zur Wirklichkeit in ihrer Beziehung zu ihrer Tochter.

Auf der anderen Seite können die johlenden, kreischenden Kinder, die vier Stunden lang in Nachbars Garten herumtollen und allen Anwohnern auf die Nerven gehen, die johlenden, kreischenden Kinder unseres eigenen Inneren sein. Da ist kein Erwachsener, der sagt: "Nun kommt herein, die Nachbarschaft braucht mal eine Ruhepause" … oder es ist kein Erwachsener da, der mit ihnen vereinbart, mal eine halbe Stunde oder Stunde leise zu sein oder für eine Stunde Richtung Wald zu gehen.

Viele Erwachsene lassen Kinder tun oder lassen, was sie wollen, sei es im Lokal, im Zug oder im Kaufhaus, alles darf angefasst werden, dem Kind wird kein Ein-Halt geboten, es bekommt keinen Halt in Bezug auf angemessenes Ver-Halt-en.

Da steckt kein erzieherisches Konzept dahinter, sondern eine Flucht vor den eigenen inneren Kinder, die sich auch so aufführen; bevor man sich mit ihnen auseinandersetzt, lässt man lieber die realen Kinder wider bessere erzieherische Vernunft sich wie oben geschildert verhalten.

Es gibt genug Erwachsene, die ihren ungebärdigen, jähzornigen inneren Kindern keinen Einhalt gebieten, weil sie nicht wahrnehmen, dass sich Verletzungen in der Kindheit auch so auswirken können, dass der Erwachsene nicht ein reifer, liebevoller Erwachsener wird, sondern unberechenbar bleibt und z.B. bevorzugt im Garten anderer Menschen herumtrampelt.

Nicht wenige Erwachsene werden in Wahrheit kein reifer Erwachsener, weil ständig sich dunkle Seiten ihres inneren Kindes aktivieren.
Dabei wirken sie auf manche andere nach außen interessant; es ist ständig etwas los in ihrer Gegenwart – oder es wird etwas losgemacht.

In Wahrheit kommt ihr Inneres nicht zur Ruhe.
Man erkennt das Wirken solcher verletzten inneren Kindern in Erwachsenen bisweilen daran, dass man sich nie ganz sicher ist, ob nicht irgendwann ein völlig unangemessener Satz kommt, peinlich oder überzogen, einfach daneben ...

Verletzte innere Kinder finden keine Ruhe, bis sie nicht irgendwann liebevoll in den Arm genommen werden und der Erwachsene als Erwachsener mit ihnen spricht.

Das wird kein einmaliger Vorgang sein; Verletzungen brauchen Zeit, um zu heilen.

Nur wenn ein Erwachsener so mit sich und seinem Inneren umgeht, ist er auch in der Lage, überzeugend liebevoll mit seinem realen und anderen realen Kindern umzugehen.

Montag, 19. Mai 2008

Für unser inneres Kind, einfach zum ein bisschen lächelnden Verweilen ...



... ich find´ übrigens das Kleine im Wägelchen total süß ...
... und das Quak-Quak unten links ...



... tschüss für heute ...
... wir melden uns mal wieder ...

Sonntag, 18. Mai 2008

Niemals Gewalt

Ich glaube, dass es nur wenige Menschen gibt, deren innere Kinder so sehr lebten wie die von Astrid Lindgren. Ihre Bücher sind voll lebender Kinder, die allesamt die lebendigen inneren Kinder dieser liebenswerten Frau sind.
Vielleicht kennt mancher jenen Ausschnitt aus ihrer berühmten Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels noch nicht, den man kaum vergisst, wenn man ihn einmal gelesen hat; deshalb möchte ich ihn hier einbringen.
Für diese Passage gibt es kaum einen würdigeren Ort als die Frankfurter Paulskirche, in der Astrid Lindgren 1978 ihre Rede hielt:
[…] Freie und unautoritäre Erziehung bedeutet nicht, dass man die Kinder sich selber überlässt, dass sie tun und lassen dürfen, was sie wollen. Es bedeutet nicht, dass sie ohne Normen aufwachsen sollen, was sie selber übrigens gar nicht wünschen.
Verhaltensnormen brauchen wir alle, Kinder und Erwachsene, und durch das Beispiel ihrer Eltern lernen die Kinder mehr als durch irgendwelche anderen Methoden. Ganz gewiss sollen Kinder Achtung vor ihren Eltern haben, aber ganz gewiss sollen auch Eltern Achtung vor ihren Kindern haben, und niemals dürfen sie ihre natürliche Überlegenheit missbrauchen. Liebevolle Achtung voreinander, das möchte man allen Eltern und allen Kindern wünschen.
Jenen aber, die jetzt so vernehmlich nach härterer Zucht und strafferen Zügeln rufen, möchte ich das erzählen, was mir einmal eine alte Dame berichtet hat. Sie war eine junge Mutter zu der Zeit, als man noch an diesen Bibelspruch glaubte, dieses "Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben".
Im Grunde ihres Herzens glaubte sie wohl gar nicht daran, aber eines Tages hatte ihr kleiner Sohn etwas getan, wofür er ihrer Meinung nach eine Tracht Prügel verdient hatte, die erste in seinem Leben. Sie trug ihm auf, in den Garten zu gehen und selber nach einem Stock zu suchen, den er ihr dann bringen sollte. Der kleine Junge ging und blieb lange fort. Schließlich kam er weinend zurück und sagte: "Ich habe keinen Stock finden können, aber hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir werfen."
Da aber fing auch die Mutter an zu weinen, denn plötzlich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Das Kind musste gedacht haben, "Meine Mutter will mir wirklich weh tun, und das kann sie ja auch mit einem Stein."
Sie nahm ihren kleinen Sohn in die Arme, und beide weinten eine Weile gemeinsam. Dann legte sie den Stein auf ein Bord in der Küche, und dort blieb er liegen als ständige Mahnung an das Versprechen, das sie sich in dieser Stunde selber gegeben hatte: "NIEMALS GEWALT!"
Ja, aber wenn wir unsere Kinder nun ohne Gewalt und ohne irgendwelche straffen Zügel erziehen, entsteht dadurch schon ein neues Menschengeschlecht, das in ewigem Frieden lebt? Etwas so Einfältiges kann sich wohl nur ein Kinderbuchautor erhoffen! Ich weiß, dass es eine Utopie ist. Und ganz gewiss gibt es in unserer armen, kranken Welt noch sehr viel anderes, das gleichfalls geändert werden muss, soll es Frieden geben. Aber in dieser unserer Gegenwart gibt es - selbst ohne Krieg - so unfassbar viel Grausamkeit, Gewalt und Unterdrückung auf Erden, und das bleibt den Kindern keineswegs verborgen. Sie sehen und hören und lesen es täglich, und schließlich glauben sie gar, Gewalt sei ein natürlicher Zustand.
Müssen wir ihnen dann nicht wenigstens daheim durch unser Beispiel zeigen, dass es eine andere Art zu leben gibt?
Vielleicht wäre es gut, wenn wir alle einen kleinen Stein auf das Küchenbord legten als Mahnung für uns und für die Kinder:
NIEMALS GEWALT!
Es könnte trotz allem mit der Zeit ein winziger Beitrag sein zum Frieden in der Welt.

Verletzungen - die dunklen Seiten unseres inneren Kindes

Vor vielen Jahren erzählte mir eine auf mich sehr resolut wirkende Mutter einmal über ihr Verhältnis zu ihrem eher stillen Jungen: Dass er manchmal in Diskussionen türknallend das Zimmer verlasse, sie dann aber nach einer Weile wieder darüber sprechen könnten und ihr Junge Einsicht zeige … so sei er nun auch wieder, mal zwar ein bisschen rebellisch, dann aber doch wieder einsichtig.

Es gibt eine Art von Erziehung, die vermittelt dem Betrachter von außen das Gefühl, der Umgang von Eltern mit ihren Kindern bestehe vor allem aus psychologischem Management von Seiten der Erwachsenen. Wie scheinbar geschickt sich doch hier die Mutter verhält! Und wie sie es zustande bringt, immer im Gespräch zu bleiben und ein zur Einsicht fähiges Kind zu erziehen! –
Leider ist diese "Einsicht" vermutlich gepaart mit einem Minderwertigkeitsgefühl des Jungen, vor allem gegenüber Frauen.

Ich erinnere mich, dass ich damals ziemlich deutlich STOP sagte, weil ich es nur schwer ertrug, wie sehr diese Mutter das vermutliche Empfinden ihres Kindes überging und wie sehr sie von der Qualität ihrer Erziehung überzeugt war.

Niemand knallt einfach so eine Tür zu. Natürlich kann Türzuknallen ganz unterschiedliche Gründe haben und ich will auch keinen pubertierenden Jungen ungerechtfertigterweise in Schutz nehmen.

Aber ich sagte der Mutter: Könnte es auch sein, dass Ihr Junge sich gegen ihre geballte Routine, Erfahrung und Überlegenheit nicht anders mehr zu helfen wusste, als türknallend den Raum zu verlassen? Könnte es nicht sein, dass Sie sich anders hätten verhalten müssen? Könnte es sein, dass Sie Ihren Jungen so an die Wand gedrückt haben, dass ihm in Ihrer Gegenwart die Luft ausging?

Und was bedeutet es dann, wenn solch ein Junge zurückkommt und Einsicht zeigt, Einsicht zeigen muss?! Um nicht die Liebe der Mutter zu verlieren oder das, was sich Liebe nennt?! Wenn er auch noch für diese Einsicht, die ihm womöglich zutiefst zuwider ist, Lob erhält?!
Was macht er mit jenem Teil in sich, der nach Gerechtigkeit und Wahrheit schreit? -
Er spaltet ihn ab; er verdrängt ihn; dann muss er ihn nicht mehr sehen.

Solche Situationen sind es, die in Kindern und Jugendlichen einen verletzten inneren Teil abspalten. Stephen Wolinsky spricht in seinem Buch Die dunkle Seite des inneren Kindes von Trancezuständen.

Dieser verletzte, abgespaltene Teil wird sich in bestimmten Situationen dieses Jungen Jahre später aktivieren, und die Frau, die ihm dann gegenübersitzt – vielleicht seine Ehefrau -, wird nicht verstehen, warum ihr Mann türknallend den Raum verlassen wird … und warum das womöglich immer wieder passiert … manche mögen das Gefühl haben, ihr Partner reagiere dann wirklich wie in Trance …

Wenn jene Ehefrau in einem Film sehen könnte, was bei dem/ihrem Mann zu dieser Verletzung geführt hat, könnte sie verstehen, warum er so reagiert: Er kann nicht anders, wenn diese Verletzung aktiviert wird, wenn also bestimmte Auslösefaktoren da sind, die ihn an frühere Situationen erinnern, reagiert er wie in Trance und ist dann in dem Alter, in dem jene Verletzungen stattfanden – er ist dann nicht 38 Jahre, sondern 15 – und im Grunde ist er dann auch nur auf dieser Altersebene ansprechbar.

Schlimm für den Jungen oben ist, dass er zu Kreuze kriechen muss, dass er Einsicht zeigen muss, obwohl alles in ihm schreit: Mir geschieht Unrecht, ich darf nicht sagen, was ich möchte … sonst ist sie mir böse …

Die Mutter ist die erste Frau im Leben jedes jungen Mannes – und sie prägt sein Verhältnis zu allen Frauen in seinem Leben … das ist die Realität … und diese Mutter ist keine schlechte Mutter … sie verhält sich so, weil auch mit ihr so umgegangen worden ist … nur:
Wie wirkt sich das Verhältnis des jungen Mannes zu seiner Mutter auf sein Lebensglück, auf eine zukünftige Beziehung aus?

Die Fallbeispiele in der entsprechenden Literatur und meine eigene Geschichte zeigen mir: Solche und vergleichbare Fälle gibt es viele.

Und es wird Zeit, über sie zu sprechen, nicht, um irgendjemand an den Pranger zu stellen, sondern um zu sensibilisieren, damit alte Verletzungen geheilt und, wo es geht, neue vermieden werden können.
Dann können wir peu à peu zu einer Praxis kommen - auch im Übrigen gegenüber unseren inneren Kindern, wie sie
Krishnamurti vorgegeben hat.


Donnerstag, 1. Mai 2008

Hör den Kindern einfach zu ! Auch den inneren ...


Ich denke oftmals zurück
an diese Zeit
als ich anfing zu leben
Nie wird es wieder so sein
Doch dann fällt es mir wieder ein
Hör den Kindern einfach zu
Du erinnerst dich im Nu
An die Zeit voll Glück und Harmonie
Lausche der Melodie
Lei dei dei dei dei dei dei dei dei dei ... lei dei dei dei dei dei dei ...



Niemals erwachsen zu sein
wünschten wir uns
Doch der Wunsch war vergebens
Doch heut tauch ich wieder hinein
Um das Kind von damals zu sein
Um das Kind von damals zu sein

Hör den Kindern einfach zu
Du erinnerst dich im Nu
Ihre Welt ist voll von Sonnenschein
Öffne dich, und lass ihn rein
Hör den Kindern einfach zu
Denn wie sie so warst auch du
Hol ein Stück von dieser Zeit zurück
Schwebe in Melancholie und lausche der Melodie
Lei dei dei dei dei dei dei dei dei dei ... lei dei dei dei dei dei dei ...

Hör den Kindern einfach zu
Du erinnerst dich im Nu
Ihre Welt ist voll von Sonnenschein
Öffne dich, und lass ihn rein
Hör den Kindern einfach zu
Hör ihnen zu
Denn wie sie, so warst auch du
Hol ein Stück von dieser Zeit zurück
Schwebe in Melancholie
und sing mit mir die Melodie

Lei dei dei dei dei dei dei dei dei dei dei dei ... lei dei dei dei dei dei dei ...


Aussöhnung mit dem inneren Kind (Auszüge) - das ungeliebte Kind

Bei der Lektüre der Auszüge aus Erika J. Chopichs und Margaret Pauls Buch Aussöhnung mit dem inneren Kind werden manche denken: Meine Kindheit war ja nun wirklich nicht so schlimm.
In gewisser Weise könnte es jedoch denen, die geschlagen und gedemütigt worden sind, besser gehen als denen, die glauben, sie seien geliebt worden.
Wem es im Hinblick auf die Liebe nicht gut ging, der weiß, was er nachzuarbeiten hat.
Wer glaubt, geliebt worden zu sein, muss gegebenenfalls auf mühevolle Weise enttarnen, dass „Liebe“ zwar eines der am häufigsten gebrauchten Wörter ist, zugleich aber eines der unbekanntesten Gefühle.
Liebe ist mehr als ein beheiztes Nest, mehr als geregelte Nahrungszufuhr, mehr als "Ich hab mir schon Sorgen um dich gemacht".
Wir nennen Liebe, was unsere Eltern als Liebe bezeichnet haben.
Liebe aber ist so umfassend und so tief, so aufgewühlt und so kraftvoll ruhig wie ein Ozean.
Erst wenn wir uns erlauben, Liebe wirklich zu erfahren, erkennen wir, ob wir bisher nur aus einem Tümpel geschöpft haben, einem kleinen See oder aus mehr … aus dem Meer der Liebe …
Erlauben wir uns eine große Erkundungsreise …

Kapitel l
In dir lebt ein inneres Kind

Alle Menschen, die wir als »Genies« bezeichnen, sind Männer und Frauen,
denen es auf irgendeine Weise gelungen ist, der Gefahr zu entgehen,
jenes neugierige, staunende Kind in sich zu betäuben und einzulullen.
Barbara Sehr Wishcraft

Jeder von uns hat zwei verschiedene Persönlichkeitsaspekte: den Erwachsenen und das Kind. Wenn diese beiden Teile in Kontakt miteinander sind und zusammenarbeiten, entsteht ein Gefühl der Ganzheit. Wenn die beiden Teile jedoch nicht in Kontakt miteinander sind, sei es, dass wir verletzt sind, nicht richtig funktionieren können oder unreif geblieben sind, entsteht in uns ein Gefühl von Konflikt, Leere und Alleinsein.
Es ist sehr wichtig, das innere Kind klar und positiv wahrzunehmen. [...]. In unserem Kulturkreis sind Kinder traditionell weniger wert als Erwachsene - sie werden als weniger wichtig und als weniger klug angesehen. Als Kinder haben wir uns meistens als machtlos erlebt. Deswegen bedeutet Kindsein für uns fast immer Machtlosigkeit und Bedeutungslosigkeit. Darüber hin­aus halten wir unser inneres Kind häufig für einen Störenfried, weil uns in der Kindheit so oft gesagt wurde, dass wir schlecht wären und Unruhe und Sorgen verursachen würden. Da man uns als Kind nicht wirklich wertgeschätzt hat, mag es für uns selbst jetzt ebenfalls schwer sein, das Kind in uns zu schätzen. Wir halten es für unwichtig, brechen den Kontakt zu ihm ab und setzen so unsere Kindheitserfahrungen endlos weiter fort. Das ist der Grund für unser Gefühl von Elend und Unglück. Unser inneres Kind wahrzunehmen und wertzuschätzen ist die wesentliche Voraussetzung, um eine heile, ganze Persönlich­keit zu werden
Das innere Kind - was ist das?
Das innere Kind erlebt das ganze Spektrum intensiver Gefühle - Freude und Schmerz, Glück und Traurigkeit. Das innere Kind funktioniert in der Sphäre von Sein, Fühlen und Erleben, die der rechten Gehirnhälfte zugeordnet ist. Im Gegensatz dazu steht der Erwachsene, der über das Machen, Denken und Handeln der linken Gehirnhälfte gebietet, zugleich aber eben­falls über eine ganze Skala von Gefühlen verfügt. »Tun« be­zieht sich auf die äußere Welt und auf Aktivität, während »Sein« sich auf die Existenz auf einer inneren, emotionalen und spirituellen Ebene bezieht. »Tun« ist eine äußere Erfahrung, während »Sein« eine innere Erfahrung ist. [...]Im folgenden erzählt Erika, wie sie ihr inneres Kind während eines plötzlichen und intensiven Moments der Trauer tröstete.
Wie wir tatsächlich funktionieren, wurde mir auf einer Reise nach San Diego klar, die ich zusammen mit einer Freundin unternahm. Wir besuchten »Sea World«, um einen neuge­borenen kleinen Wal zu besichtigen. Während wir das Tier beobachteten, hielt ich zugleich Ausschau nach meinem Freund Orky, einem großen Mörderwal. Ich liebte Orky und wußte ihn von den anderen Walen zu unterscheiden, aber ich konnte ihn diesmal einfach nicht entdecken. Plötzlich schauderte es mich, da ich sah, wie Taucher ein Transportbecken im hinteren Teil des Geländes abstellten. Auf einmal wußte ich, daß Orky tot war. Wir rannten wie von Sinnen auf die andere Seite des Beckens und fragten die Wärter, was denn passiert sei. Sie behaupteten, alles wäre in Ordnung - sie zeigten auf einen kleinen weiblichen Wal und sagten mir, das sei Orky. Ich aber wußte es besser. Meine Ängste wurden bestätigt, als ich mit einem der Taucher sprach.
Vor Kummer und Trauer fühlte ich mich wie gelähmt. Meine beiden Persönlichkeitsanteile, das Kind und der Erwachsene, waren traurig und weinten, aber jeder der beiden Teile er­lebte den Kummer auf einer anderen Ebene. Mein Erwach­sener war nicht nur traurig, sondern wütend und empört. Ich war wütend darüber, daß man mich angelogen hatte und vermutete, daß Orky wahrscheinlich vernachlässigt worden
war. Der erste Impuls meines inneren Erwachsenen war, etwas zu tun - mit einem der Verantwortlichen zu sprechen und eine Erklärung zu verlangen. Dann hörte ich die Stimme meines inneren Kindes. Ihm war es ganz egal, wer in die Sache verwickelt war und wie das passieren konnte -der Schmerz war so groß, daß es im Augenblick keine Wut spü­ren konnte. Es wußte nur, daß es seinen Freund verloren hatte und ihn niemals Wiedersehen würde. Es fühlte sich traurig und bedrückt, weil es sich noch nicht einmal von ihm hatte verabschieden können.
Ich entschied, daß ich zuerst Verantwortung für mein inneres Kind übernehmen müsse: bevor ich irgend etwas anderes unternehmen würde, würde ich ihm einfach erlauben, Kind zu sein und den Kummer zu durchleben. Ich setzte mich auf eine Bank und weinte und schluchzte einige Minuten lang bitterlich. Ich war froh, daß ich entschieden hatte, mit mei­nen Nachforschungen zu warten, bis das Kind in mir sich ausgeweint hatte. Hätte ich dem Kind diesen Raum und die Erfahrung der Trauer nicht gewährt, wäre es mir viel schwe­rer gefallen, mit meinem Schmerz fertig zu werden. Mein inneres Kind hätte dann nicht nur unter dem Verlust Orkys gelitten, sondern auch unter dem Mangel an Fürsorge.
Das Kind ist unsere instinktive Seite; es steht für die Gefühle, die »aus dem Bauch« kommen. In anderen Zusammenhängen wurde das Kind auch schon mit dem Unbewußten gleichge­setzt, aber wir sind uns seiner nur deshalb nicht bewußt, weil wir ihm so wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben. Wenn wir wirklich etwas über das Unbewußte erfahren wollen, dann wird es dem Bewußtsein leicht zugänglich. In unserem inneren Kind sind die Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen aus der Kindheit gespeichert, an die wir uns zurückerinnern können, wenn wir versuchen, von ihm zu lernen.
Wir können das Kind auf unterschiedliche Weise betrachten: als Kind, das vom inneren Erwachsenen geliebt wird, und als Kind, das nicht geliebt, das kritisiert, vernachlässigt und vom inneren Erwachsenen verlassen wird. Es gibt aber nur ein einzi­ges inneres Kind. Zu jedem Zeitpunkt wird dieses Kind vom inneren Erwachsenen entweder geliebt oder nicht geliebt, und seine Gefühle und sein Verhalten resultieren direkt daraus, ob der innere Erwachsene die Wünsche, Bedürfhisse und Gefühle des Kindes kennenlernen und die Verantwortung für sie über­nehmen möchte oder ob er sich vor diesem Wissen und dieser Verantwortung schützen will.
Das ungeliebte Kind
Wenn der innere Erwachsene sich davor schützen möchte, die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen und es ablehnt, die Verantwortung für sie zu übernehmen, dann trennt er sich durch die verschiedenen Formen von Selbstanklage, Vernachlässigung und Bequemlichkeit von seinem inneren Kind. Das Kind fühlt sich dann ungeliebt, verlassen und sehr allein. Es schließt daraus, dass es schlecht, falsch, nicht liebens­wert, unwichtig und unzulänglich sei, sonst würde es nicht entweder ganz konkret von den Erwachsenen (Eltern und Großeltern) oder sogar von seinem inneren Erwachsenen im Stich gelassen werden. Die äußeren und inneren Trennungen rufen im Kind intensive Gefühle der Furcht, Schuld und Scham hervor; es fühlt sich in der Welt und in sich selbst allein und verlassen. Das Kind lernt auf diese Weise, sich vor Zurückwei­sung, Verlassenwerden und Kontrolle zu fürchten, zuerst von Seiten der Bezugspersonen seiner Umwelt und dann von Seiten des inneren Erwachsenen, und schließlich projiziert es diese Ängste auf andere und glaubt ganz allgemein, dass die anderen es ablehnen, es verlassen oder versuchen, es zu kontrollieren.
Das Gefühl des Alleinseins ist das schmerzhafteste Gefühl, das wir erleben können. Es verursacht so tiefe Qual, dass wir alle danach streben, uns vor diesem Gefühl zu schützen. Wenn unsere Eltern uns als Kinder ablehnen, tadeln, verlassen, misshandeln oder gar missbrauchen, dann ist der Schmerz darüber so unerträglich, dass der innere Erwachsene den Kontakt zum inneren Kind abschneidet, um diese Gefühle nicht zu spüren. Dann fühlt sich das innere Kind nicht nur einsam und allein auf der Welt, sondern es fühlt sich auch in sich selbst allein und leer; es gibt niemanden, keinen Anteil seiner Persönlichkeit, der es vor den Verletzungen der anderen beschützt.
In der Kindheit und Jugend lernt das verlassene innere Kind, die innere Erfahrung des Verlassenwerdens auf andere zu projizieren. Wenn das innere Kind sich vom inneren Erwachsenen kontrolliert, kritisiert oder vernachlässigt fühlt, projiziert es diese Gefühle auf andere und erlebt die anderen als kontrollie­rend, kritisierend oder treulos, gleichgültig, ob das nun wirk­lich der Fall ist oder nicht. Die Wut, die das innere Kind auf den inneren Erwachsenen spürt, weil er es verlassen hat, wird ganz allgemein auf andere übertragen. Das Kind glaubt allmäh­lich, dass das Verlassenwerden nur durch äußere Umstände und andere Menschen geschieht, da es selbst keine Möglichkeit hat, seine Wut dem inneren Erwachsenen gegenüber auszudrücken. Der lieblose innere Erwachsene nimmt die Gefühle des inneren Kindes nicht wahr. Die Wut und die Vorwürfe, mit denen wir als Erwachsene andere konfrontieren, sind nicht nur eine Projektion der elterlichen Ablehnung auf andere, sondern auch eine Projektion des inneren Verlassenseins.
Das verlassene innere Kind hat ständig Angst davor, Unrecht zu haben, weil es glaubt, dass die Reaktion darauf Ablehnung sei. Deshalb kämpft es darum, immer »das Richtige« zu tun. Es wird süchtig nach Vorschriften und Regeln, um sich vor Ableh­nung weitgehend zu schützen. Es strebt danach, perfekt zu sein und glaubt, dass das möglich sei. Perfektionismus und die Angst vor dem Irrtum sind Symptome der inneren Trennung zwi­schen Erwachsenem und Kind.
Da das innere Kind sich so schmerzhaft leer, einsam und allein fühlt, wenn der innere Erwachsene ihm nicht hilft, mit der Einsamkeit des äußeren Verlassenwerdens umzugehen, entwickelt es ein Suchtverhalten, um diese Leere wieder zu füllen. Dieses verletzte, verlassene innere Kind überlebt die Demütigungen und Schmerzen, die ihm von seinen ersten Be­zugspersonen zugefügt wurden, indem es von verschiedenen Dingen und Verhaltensweisen abhängig wird. [...] Anne Wilson Schaef schreibt in ihrem Buch »Im Zeitalter der Sucht«, dass 96 Prozent unserer Zivilisation von bestimmten Substanzen und Prozessen abhängig sind. Die Abhängigkeit von Alkohol, Dro­gen, Essen, Zucker, Koffein und Nikotin ist an eine Substanz gebunden. Die Prozessabhängigkeiten fallen in zwei verschie­dene Kategorien: Die Abhängigkeit von Personen (Co-Abhängigkeit) und die Abhängigkeit von Dingen und Aktivitäten. Das innere Kind kann abhängig werden von Fernsehen, Arbeit, Sport, Schlaf, Macht, Geld, Geldausgeben, Glücksspiel, Ladendiebstahl, Studium, Klatsch, Telephonanrufen, Meditation, Religion, aufregenden Ereignissen, Gefahr, sozialem Ansehen, Sorgen, Grübelei und sogar von Unglück und Depression als Mittel, die innere Leere zu füllen. Das innere Kind versucht mit Hilfe der Sucht, sich eine Fluchtmöglichkeit aus dem Schmerz des äußeren und inneren Alleinseins und der Einsam­keit im Zusammensein mit anderen zu verschaffen.
Darüber hinaus kann das Kind abhängig werden von Bezie­hungen, Sex, romantischen Affären, Liebe und Bestätigung. Jedes Kind braucht Bestätigung. Wenn es die Bestätigung nicht vom inneren Erwachsenen bekommen kann, bleibt ihm nur die Möglichkeit, Liebe und Bestätigung bei anderen zu suchen. Das Gefühl, in Ordnung und liebenswert zu sein, wird, wenn der Erwachsene das innere Kind nicht liebt, von der Bestäti­gung durch andere abhängig gemacht. [...] Diese Bedürftigkeit meint: Wir brauchen andere, um uns wohl und sicher fühlen zu können. Dieses Bedürfnis nach Bestätigung von außen verursacht große Angst vor Ablehnung und Kontrolle durch jene, deren Bestätigung das Kind sich wünscht. Bestätigung, Sex und Liebe werden so zu den Mitteln, mit denen das innere Kind versucht, seinem unerträglichen Alleinsein zu entfliehen. Es erkennt dabei nicht, dass der äußere Kontakt zu anderen nicht mög­lich ist ohne eine innere Verbindung zu sich selbst.
[...] Wenn wir Liebe, Sex oder Bestätigung brauchen, um uns wohl zu fühlen, uns aber im Grunde gering schätzen, dann glauben wir auch, dass wir dafür sorgen müssten, diese ersehnte Liebe und Bestätigung zu bekommen und die Ablehnung zu vermeiden. Das bedürftige innere Kind versucht zu kontrollie­ren, wie die anderen es behandeln und was sie von ihm halten, indem es ihnen Schuldgefühle und Angst einflößt. Die Mittel, die es benutzt, sind Gereiztheit, Ärgerlichkeit, Tadel, schwei­gender Liebesentzug, Rechthaberei, Wutanfälle, Gewalt, Schmollen, Weinen, Lügen, Besserwisserei, Moralpredigten, Rechtfertigungsversuche, Verhöre und/oder Zerreden von Gefühlen. Das innere Kind, das sich so verzweifelt allein und einsam fühlt, agiert auf der Basis falscher Annahmen. Es sagt sich: »Ich kann bewirken, dass die anderen mich lieben, sehen, hören und bestätigen, Verbindung zu mir aufnehmen und mir mehr von dem geben, was ich mir wünsche. Wenn sie das tun, dann fühle ich mich wohl.« Ein so verzweifelt einsames und verängstigtes inneres Kind ist oft impulsiv und egozentrisch und hat nur wenig Kontrolle über sein Verhalten. Je tiefer die innere Verlassenheit, desto verzweifelter ist das Kind darum bemüht, den Schmerz zu lindern und um so stärker neigt es zu destruktiven und selbstzerstörerischen Handlungen. Es ist sehr wichtig zu erkennen, dass Ihr inneres Kind nicht wirklich so ist, sondern dass es sich so entwickelt hat, weil es äußerlich und innerlich verlassen wurde.
Zwei weitere Mittel des inneren Kindes, Kontrolle auszu­üben, sind Anpassungsbereitschaft und Fürsorglichkeit. Das Kind wird zum »braven« Jungen oder Mädchen, indem es die eigenen Bedürfnisse zugunsten der Bedürfnisse anderer bei­seite schiebt. Dieses Kind handelt wie ein Erwachsener, indem es die Aufgabe übernimmt, für jedermann alles in die Hand zu nehmen und in Ordnung zu bringen, oder indem es sich über­mäßig lieb und verführerisch verhält. Wenn wir uns grundsätz­lich anpassungsbereit, fürsorglich und aufbauend verhalten oder wenn wir uns vor Nettigkeit geradezu überschlagen, han­deln wir aus einer falschen Überzeugung heraus. Wir sagen: »Ich zähle nicht. Was ich wünsche und fühle ist nicht wichtig.« [...]
Die Wünsche und Gefühle der anderen sind wichtiger als meine eigenen. Ich kann die Menschen dazu bringen, mich zu lieben und mich anzuerkennen, indem ich lieb oder verführe­risch bin.« Dies sind einige Beispiele, wie das verlassene innere Kind andere zu manipulieren versucht, um Liebe zu bekom­men und sich selbst vor Ablehnung und Verlassenwerden zu schützen.
Die Angst davor, beherrscht und vereinnahmt, ja geradezu verschlungen zu werden, ist genauso mächtig wie die Angst davor, abgelehnt und verlassen zu werden. Wenn diese Angst aktiviert wird - und das kann vor allem dann geschehen, wenn jemand Sie kontrollieren möchte oder etwas von Ihnen will -, dann schützt sich Ihr verlassenes inneres Kind durch störri­schen Widerstand. Wenn Sie aus dem Persönlichkeitsanteil des inneren Kindes heraus auf eine Situation antworten, werden Sie vielleicht auf die Wünsche oder Gefühle eines anderen defensiv reagieren oder Sie werden Ihre Gefühle oder Ihre Handlungen verleugnen. Vielleicht nehmen Sie auch Zuflucht zu innerem Rückzug und Gleichgültigkeit, stürzen sich in Akti­vitäten oder versuchen, Ihr Inneres mit einem Suchtmittel abzutöten. Sie vertreten plötzlich einen harten, unnachgiebigen Standpunkt oder Sie rebellieren und tun das Gegenteil dessen, was der andere von Ihnen will. Möglicherweise tun Sie auch, als seien Sie mit allem einverstanden, leisten aber in Wirklichkeit Widerstand, indem Sie herumtrödeln, wichtige Dinge verges­sen oder eine demonstrative Inkompetenz an den Tag legen. Dies Verhalten resultiert aus dem falschen Glauben, dass es vor allem wichtig sei, sich nicht kontrollieren zu lassen. Ein Mensch mit diesem Verhaltensmuster sagt: »Wenn ich tue, was jemand anders wünscht (selbst wenn es etwas ist, was ich auch möchte), verliere ich mich und meine Integrität.« Menschen, die immer nur Widerstand leisten, entscheiden im Grunde nicht selbst, was sie wollen. Sie sträuben sich nur gegen das, was andere für sie oder von ihnen wollen. Die eigentliche Kon­trolle, der sie sich unterwerfen, ist ihr eigener Widerstand [...]

Chopich / Paul: Das geliebte Kind

Das geliebte Kind
Das innere Kind, das sich geliebt fühlt, ist das ursprüngliche innere Kind. Es ist die Quelle unserer Lebendigkeit, unserer Begeisterungsfähigkeit und unseres Potentials, uns zu wundern und in Erstaunen zu geraten. Das geliebte Kind in uns ist etwas so Kostbares und Schönes, dass ein auch nur sehr flüchtiger Kontakt mit ihm uns die Tür zu reiner Lebensfreude öffnet. Das geliebte Kind ist stark, dynamisch und voller Leidenschaft; es ist verspielt und neugierig und immer für neue Ideen und Erfahrungen offen. Aus dem natürlichen inneren Kind fließen unsere Kreativität, unsere Intuition und unsere Fähigkeit, an­deren Menschen zu vertrauen. Wenn das innere Kind eines Heranwachsenden von seinen Bezugspersonen geliebt wurde oder wenn der innere Erwachsene es geschafft hat, es längere Zeit liebevoll zu betreuen, ist es weich, sensibel, flexibel und sehr liebevoll. Im geliebten inneren Kind liegt unser Wissen von der grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen und der inneren Verbindung aller Lebewesen. Das geliebte innere Kind ist im ganzheitlichen, nichtlinearen Sinne weise und wissend, das heißt, es vermag aus einer Gesamtheit vieler und gleichzei­tiger Erfahrungen und Eindrücke Schlüsse zu ziehen und hält sich nicht an das schrittweise, logische und lineare Denken, das der innere Erwachsene praktiziert. [...]
Das Kind, das die Welt holistisch und nicht logisch-linear betrachtet, ist Träger unserer Fähigkeit zur tiefen emotionalenund spirituellen Verbindung zu uns selbst und zu anderen. Das geliebte innere Kind kann uns sagen, was wir spüren und wün­schen, weil es ein deutliches Gefühl dafür hat, was ihm guttut und was ihm schadet. Es ist das geliebte innere Kind in uns, das weiß, was das Beste für uns ist, was angenehme und was unan­genehme Gefühle in uns hervorruft. Diese Gefühle informie­ren uns sehr präzise darüber, was uns glücklich oder unglück­lich macht. Menschen, die mit ihrem inneren Kind nicht in Kontakt sind, haben zu vielen ihrer Gefühle und damit zur Quelle dieses Wissens keinen Zugang.
Unsere Gesellschaft schätzt die Logik außerordentlich hoch ein, während sie die Weisheit, die aus den Gefühlen kommt, abwertet; sie misst der linken Gehirnhälfte große Bedeutung bei, während sie die rechte ignoriert. Dadurch wurde ein er­schreckendes Ungleichgewicht geschaffen: die Macht der Lo­gik ohne die Macht der Weisheit. Weisheit ist die Summe aller unserer Erfahrungen, die als Gefühle gespeichert sind. Wenn Sie nicht fühlen können, was wahr ist, dann heißt das, dass Sie Ihre Weisheit nicht nutzen können. Viele Menschen, die ihre Gefühle und die Weisheit des Kin­des verleugnen, haben versucht, sich eher durch das Handeln als durch das Handeln und Sein eine Identität zu schaffen. Hängt die Identität eines Menschen nur damit zusammen, was er tut? Und was ist mit unserer Existenz, unserem bloßen Da-Sein? Was ist mit unserer Weichheit, Zärtlichkeit, Intui­tion, unserem Einfühlungsvermögen, unserer Wahrneh­mungsfähigkeit und unseren Gefühlen? Was ist mit unserer Neugier, Spontaneität und Verspieltheit? Wir werden unsere Kraft und Weisheit so lange nicht voll ausschöpfen können, bis wir erkennen, dass jene Eigenschaften genauso wichtig sind wie unsere äußeren Leistungen.
!!Das geliebte Kind hat Mitgefühl - es kann die Gefühle anderer nachempfinden. Es ist dieser Aspekt unserer Persönlichkeit, der andere retten und von ihrem Schmerz erlösen möchte. Dem geliebten inneren Kind tut es weh, wenn es andere leiden sieht, und es möchte etwas tun, um ihren Schmerz zu lindern. Der liebevolle Erwachsene muss dem Kind helfen zu erkennen, wann das Bedürfnis zu helfen ein Akt der Liebe ist und wann es zur Bevormundung wird.
Das geliebte Kind ist verspielt und phantasievoll. Menschen, die in Kontakt mit diesem lustvollen und lebendigen Aspekt ihrer Persönlichkeit sind, strahlen Begeisterung und Lebensfreude aus. Menschen, die in Verbindung mit ihrem inneren Kind sind, reagieren auf das Leben voller Spontaneität und Lebendigkeit. Sie sind im positiven Sinne spontan; sie sind weder impulsiv und unkontrolliert noch zurückgezogen und gehemmt.
Es besteht ein großer Unterschied zwischen »kindlich« (leb­haft und spontan) und »kindisch« (impulsiv und unkontrol­liert). Dieser Unterschied wird oft ignoriert, und der spontane Mensch, die verspielte und phantasievolle Persönlichkeit, die noch fähig ist, sich zu wundern, wird für unreif oder naiv gehalten; man hält ihr vor, sie müsse doch endlich erwachsen werden. Deswegen lassen viele Menschen ihr inneres Kind im Stich oder versuchen wenigstens, es zu verstecken. Erwach­sene, die von ihrem inneren Kind abgetrennt sind, tun sich schwer damit, zu spielen und Vergnügen zu haben. Für die meisten von ihnen bedeutet Spielen und Sichvergnügen, be­stimmten typischen Erwachsenenaktivitäten nachzugehen, zum Beispiel an einer offiziellen Party teilzunehmen, ein ele­gantes Restaurant zu besuchen oder einen Film anzuschauen, einen sportlichen Wettkampf zu beobachten, sich zu betrinken oder mit Drogen zu betäuben.
Das innere Kind ist für unser Wohlbefinden von entschei­dender Bedeutung. Unsere Fähigkeit, uns zu freuen und Spaß zu haben, hängt von der Tiefe der Verbindung zu unserem inneren Kind ab. Echtes Spielen ist etwas ganz anderes als nur eine der genannten Erwachsenenaktivitäten, und es ereignet sich eher spontan als geplant. Dem echten Spielen liegt eine spielerische Einstellung zugrunde, die sich überall verwirkli­chen kann. Unsere Freude am Spiel können wir im Zoo oder auf einer Schaukel ausleben oder auch beim Schlangestehen auf dem Markt oder beim Kochen - wir spüren sie, wenn wir in Kontakt mit unserer Lebensfreude sind. Diese Freude ist ein fließendes, berauschendes Gefühl, das unsere Fähigkeit zu la­chen aktiviert. Wann haben Sie sich das letzte Mal wirklich gehen lassen und Ihre Lebensfreude gespürt? Oft erlauben wir uns das nur, wenn wir frisch verliebt sind. !!Irgendwie können wir es Verliebten zugestehen zu springen, zu tanzen, zu singen, sich zu kitzeln und wie Kinder zu spielen, während wir dasselbe Verhalten bei denen, die nicht verliebt sind, als unangemessen ansehen. Vielleicht ist es gerade dieser Aspekt des Verliebtseins, den wir alle als so anziehend und belebend empfinden. Viel zu schnell jedoch beschließen frisch Verliebte, dass es nun an der Zeit sei, sich verantwortungsbewusst zu verhalten (in der Über­zeugung, dies heiße, das innere Kind zu ignorieren). Sie spalten dann das innere Kind ab und schlagen sich ganz auf die Seite des Erwachsenen oder auf die Seite des verlassenen Kindes. Oder ihre Angst vor Zurückweisung und Kontrolle gewinnt die Oberhand, und ihre Schutzmechanismen treten in Kraft. Nach und nach distanzieren sie sich von den Gefühlen des Kindes. Am Ende finden sie dann oftmals den Weg in unsere Praxis und beklagen sich, dass ihre Beziehung nichts mehr hergebe [...] und dass sie einfach nicht wüssten, wie sie mit sich selbst und mit ihrer Umwelt wieder in Kontakt kommen könnten! Manchmal ent­scheiden sie sich, sich von dem betreffenden Partner zu trennen und suchen sich einen neuen Spielkameraden, und der Kreis­lauf beginnt aufs neue. Eine solche Entwicklung ist im Allgemeinen nicht nötig, wenn Sie für Ihre eigenen Gefühle die Verantwortung übernehmen und sich darauf einlassen, mit Ih­rem inneren Kind zu lernen.
Unsere Sinnlichkeit - das tiefe Erleben von Berührung, Ge­schmack, Geruch und Gehör - gehört zum inneren Kind. Kin­der sind sinnliche Wesen. Sie nehmen das Leben mit ihrem Körper, mit ihren Sinnen wahr. Sie lassen sich auf jede Erfah­rung ganz vorurteilsfrei und unschuldig ein, da sie ganz und gar im Augenblick leben. Sie gehen frei und mit schwingenden Armen, und sie singen, wenn ihnen danach ist. Sie berühren fast alles, was sie sehen. Das Wichtigste jedoch ist, dass sie es lieben, zu umarmen und umarmt zu werden! Genau so werden wir selbst, wenn wir die Verbindung zu unserem inneren Kind aufnehmen. Die meisten von uns sagen zu sich selbst: „Es gibt eine Zeit zum Spielen und eine Zeit zum Arbeiten, und wenn es Zeit zum Spielen ist, dann werde ich mit meinem inneren Kind Kontakt aufnehmen.“ Aber stellen Sie sich vor, wie heiter Ihr Leben dahinfließen würde, wenn Sie die meiste Zeit, und sogar die Arbeitszeit, an einem verspielten, kreativen, lustvollen Ort verbringen würden. [...]

Chopich / Paul: Der lieblose Erwachsene

Kapitel 2
Sie sind ein Erwachsener, ein Elternteil

So, wie wir als Kinder behandelt werden,
behandeln wir uns während unseres ganzen restlichen Lebens.
Alice Miller Am Anfang war Erziehung
Der erwachsene Teil in uns kommt nicht plötzlich zur Welt, sobald wir achtzehn werden. Von unserer Geburt an entwickeln wir sowohl den Persönlichkeitsanteil des Kindes als auch den des Erwachsenen in uns.
Was ist ein Erwachsener?
Der Erwachsene ist der logische, der denkende Teil in uns. Die Gefühle des Erwachsenen sind das Ergebnis seines Denkens. Beim Kind dagegen entspringen die Gedanken seinen Gefühlen. Der Erwachsene ist eher am Tun als am Sein interessiert, eher am Handeln als am Erleben. [...]DAS STIMMT SO NICHT: Wir können uns den Erwach­senen als das Yang, das Männliche oder den Aspekt der linken Gehirnhälfte vorstellen und das Kind als das Yin, das Weibliche oder den Aspekt der rechten Gehirnhälfte. Wir können den Erwachsenen mit dem bewußten Verstand, dem linear denken­den Intellekt gleichsetzen.
Der Erwachsene ist die Entscheidungsinstanz im Hinblick auf unsere Absichten und Handlungen. Es ist immer der Erwachsene, der darüber entscheidet, ob wir uns schützen wollen oder ob wir lernen wollen, und der die entsprechenden Aktionen auswählt, die der Reali­sierung unserer Absicht dienen. Der Erwachsene muss die Aufgabe des liebevollen Bemutterns übernehmen - die alten Wunden heilen und die falschen Überzeugungen durch die Wahrheit ersetzen -, und er muss sich weigern, die negativen und selbstzerstörerischen Verhaltensmuster des verlassenen Kindes zu tolerieren. Das innere Kind wird erst dann neugierig werden und sich für das Lernen öffnen, wenn der Erwachsene be­schlossen hat zu lernen und das Kind geduldig und unbeirrbar zu lieben.
Unser innerer Erwachsener kann ein liebevoller oder ein liebloser Erwachsener sein - mit anderen Worten, ein Erwach­sener, der beschlossen hat zu lernen, oder ein Erwachsener, der sich entschieden hat, sich zu schützen. [...]
Bevor wir darauf jedoch näher eingehen, ist es wichtig zu definieren, was liebevolles Verhalten ist: Wir sind liebevoll, wenn wir unser eigenes emotionales und spirituelles Wachstum und das anderer Menschen fördern und unterstützen wollen und wenn wir persönliche Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen - das heißt, wenn wir nicht als Opfer handeln und nicht andere für unsere Handlungen und Reaktio­nen und das sich daraus ergebende Glück oder Unglück verant­wortlich machen. Darüber hinaus bedeutet liebevolles Verhal­ten, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein, und es bedeutet, sich selbst und andere nicht zu beschuldigen oder herunterzuma­chen. Liebevolles Verhalten ist Ausdruck der inneren Harmo­nie Ihrer Persönlichkeit und stärkt so Ihre Selbstachtung und das Gefühl der Integrität. Liebevolles Verhalten Ihrem inneren Kind gegenüber heißt, dass Sie die Verantwortung für Ihre Gefühle übernehmen, indem Sie zusammen mit Ihrem Kind die falschen Glaubensmuster kennen lernen, die Ihren Schmerz verursachen. Es bedeutet, dass Sie sich einen liebevollen und unterstützenden Bereich schaffen, in dem Sie alte Wut und alten Schmerz durchleben können, und dass Sie entdecken, was Ihnen Freude macht, und Ihre Handlungen auf diese Freude hin ausrichten.
Der lieblose Erwachsene
Lieblos ist der Erwachsene, der die Wahl getroffen hat, sich gegen die Wahrnehmung und das Durchleben von Schmerz, Angst, Traurigkeit, Unbehagen und des intensiven Gefühls des Alleinseins und der Einsamkeit seines inneren Kindes zu schüt­zen, und der sich weigert, dafür die Verantwortung zu überneh­men. Der lieblose Erwachsene hat sich zudem entschieden, keine Verantwortung für die Freude des Kindes zu überneh­men. Er misst Aufgaben, Regeln, Verpflichtungen und Scham- und Schuldgefühlen einen größeren Wert bei als dem Gefühl, in Kontakt mit sich selbst zu sein. Der lieblose Erwachsene spaltet so das innere Kind ab und lässt es durch seine Entschei­dung, ein autoritärer oder gleichgültiger Elternteil zu sein, im Stich. Wenn der lieblose Erwachsene autoritär ist, dann ist er kritisch, verurteilend, herabsetzend und/oder kontrollierend. Der lieblose Erwachsene ist die innere Stimme, die das Kind belügt, ihm sagt, dass es schlecht, falsch, unzulänglich, dumm, selbstsüchtig oder unwichtig sei, und der die Gefühle des Kin­des für unwichtig erklärt. Er versucht, das Kind zu kontrollie­ren, indem er ihm sagt, was es tun sollte oder nicht tun sollte, und ihm all die schlimmen Dinge vorhält, die passieren kön­nen, wenn es etwas »nicht richtig« macht. Der lieblose Er­wachsene sagt dem Kind, dass es nur dann liebevoll sei, wenn es sich selbst aufopfere, und dass es selbstsüchtig sei, sich selbst glücklich zu machen. [...] In Wirklichkeit jedoch ist es selbstsüch­tig, zu erwarten, daß andere die Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen. Der lieblose Erwachsene trifft einseitige Entscheidungen und mißachtet die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes. Der lieblose Erwachsene ignoriert und verleugnet die Stimme des inneren Kindes und schafft so genau dieselben Schwierigkeiten, die Eltern haben, wenn sie nicht auf ihre Kinder hören. Die Hauptabsicht des lieblosen autoritären Erwachsenen besteht darin, das innere Kind zu kontrollieren. [...]Der lieblose Erwachsene, der verschiedene Gebote der El­tern und der Gesellschaft verinnerlicht hat, zwingt dem inne­ren Kind diese Regeln auf. Melody Beattie nennt in ihrem Buch Unabhängig sein eine Reihe von Glaubensmustern, die die mei­sten von uns verinnerlicht haben:
• Spüre deine Gefühle nicht, und sprich nicht über sie.
• Denke nicht, suche nicht nach Lösungen und triff keine Entscheidungen - du weißt möglicherweise nicht, was du willst oder was das Beste für dich ist.
• Nimm Probleme nicht wahr, erwähne sie nicht und löse sie nicht - es ist nicht gut, welche zu haben.
• Sei gut, anständig, perfekt und stark.
• Sei nicht, wer du bist, denn das ist nicht gut genug.
• Sei nicht egoistisch, stelle dich nicht an die erste Stelle, sage nicht, was du willst oder brauchst, sage nicht nein, setze keine Grenzen, und sorge nicht für dich - sorge immer für andere. Verletze ihre Gefühle nicht, und mache sie nicht wütend.
• Sei nicht lustig oder albern, und genieße dein Leben nicht - es kostet Geld, macht Lärm und ist nicht nötig.
• Vertraue nicht dir selbst, deinem höheren Selbst, dem Prozeß des Lebens oder bestimmten Menschen - setze statt dessen Vertrauen in betrügerische Menschen; reagiere dann überrascht, wenn sie dich hereinlegen.
• Sei nicht offen, ehrlich oder direkt - sprich in Andeutungen, manipuliere, bringe andere dazu, für dich zu sprechen. Er­rate, was sie wollen und brauchen, und erwarte von ihnen, dass sie dasselbe für dich tun.
• Komme niemandem nahe - du machst dich dadurch verletz­bar.
• Störe das bestehende System nicht, indem du wächst oder dich veränderst.
• Mache immer ein fröhliches Gesicht, egal wie du dich fühlst oder was du zu tun hast
Unser liebloser Erwachsener zwingt diese Regeln und falschen Überzeugungen unserem inneren Kind fortwährend auf und setzt somit die Lieblosigkeit, die wir in der Kindheit erfahren haben, permanent fort.
Wenn der lieblose Erwachsene gleichgültig ist, dann ist er vielleicht völlig abwesend und lässt das Kind mit allem allein fertig werden. Oder er erlaubt dem Kind, selbstzerstörerisch zu sein, sich selbst physisch und/oder emotional durch Sucht und Abhängigkeit zu missbrauchen und zu verletzen. Der gleichgül­tige innere Erwachsene wird es dem inneren Kind möglicher­weise erlauben, andere durch physische und/oder emotionale Gewalt - Schlagen, Verprügeln, Stehlen, Lügen, Beschuldigen oder sogar Vergewaltigen und Töten - zu zerstören. Der gleichgültige lieblose Erwachsene geht auf die Wünsche und Bedürfnisse des inneren Kindes nicht ein. Der lieblose Erwach­sene hat entschieden, die Verantwortung für die Bedürfnisse des inneren Kindes abzulehnen, so dass das Kind gezwungen ist, seine Bedürfnisse von anderen befriedigen zu lassen.
Sowohl der autoritäre als auch der gleichgültige innere Er­wachsene geben dem inneren Kind das Gefühl, ungeliebt und im Stich gelassen zu sein. Das Kind folgert daraus, dass es schlecht, falsch, nicht liebenswert, fehlerhaft, unwichtig, unbe­deutend und unzulänglich sei, und diese falschen Überzeugun­gen erzeugen Gefühle von Angst, Scham und Schuld.
Der lieblose Erwachsene ist im Allgemeinen ein Abbild der Lieblosigkeit unserer Eltern, Großeltern, Geschwister, Lehrer, geistlichen Führer oder anderer Rollenvorbilder und Autori­tätspersonen. Wir alle neigen dazu, auf dieselbe Art auf unser inneres Kind zu reagieren wie unsere Eltern oder Bezugsperso­nen, und somit erzeugen wir immerfort aufs Neue unseren Schmerz und das Gefühl des Getrenntseins. Wir können unser inneres Kind auf dieselbe Art kritisieren, anlügen, beschuldigen oder abwerten, wie wir selbst als Kind kritisiert, angelogen, beschuldigt und abgewertet worden sind, und wir benutzen dazu oft dieselben Worte, Sätze und Handlungen. Ihr liebloser Erwachsener verhält sich autoritär oder gleichgültig, je nach­dem wie Ihre Eltern oder andere nahe Bezugspersonen Sie und sich selbst behandelt haben.
Ihr innerer Dialog, der fortwährend im Unterbewusstsein abläuft, ähnelt wahrscheinlich den Worten, die Sie in Ihrer Kindheit von Ihren Vorbildern hörten. Unsere Eltern haben uns wahrscheinlich aus der Rolle ihres eigenen verlassenen Kindes und des eigenen lieblosen Erwachsenen heraus betreut, und dieses Verhalten prägte das Rollenvorbild für unseren eige­nen lieblosen Erwachsenen. [...]
Wenn Ihre Eltern in Ihrer Kindheit nicht liebevoll mit Ihnen umgegangen sind - was bei fast allen von uns in unterschiedli­chem Ausmaß der Fall war -, dann haben Sie vielleicht diesel­ben falschen Überzeugungen verinnerlicht, die das Wesen des verlassenen inneren Kindes Ihrer Eltern bestimmt haben. Im folgenden finden Sie einige der falschen Glaubensmuster, die Sie vielleicht verinnerlicht haben, als Sie dem Einfluss Ihrer Eltern ausgesetzt waren:
• Ich kann mich selbst nicht glücklich machen. Ich kann mich selbst nicht so glücklich machen, wie jemand anders oder etwas anderes es könnten. Ich kann nicht selbst für mich
sorgen.
• Ich kann mit Schmerz nicht umgehen, besonders mit dem Schmerz der Ablehnung und des Verlassenseins, dem Schmerz meines Alleinseins.
• Andere sind für meine Gefühle verantwortlich, und ich bin für ihre Gefühle verantwortlich.
• Ich kann kontrollieren, wie sich die anderen mir gegenüber fühlen und wie sie mich behandeln.
• Es ist unbedingt wichtig für meine Integrität, jeder Kon­trolle zu widerstehen.
• Mich selbst glücklich zu machen ist egoistisch und deshalb falsch.
• Der Kern meines Wesens ist schlecht, falsch, nicht liebens­wert oder sonstwie fehlerhaft.
Solange Sie aus diesen falschen Überzeugungen heraus han­deln, werden Sie es möglicherweise nicht schaffen, sich Ihrem inneren Kind gegenüber liebevoll zu verhalten. Sie werden keine Verantwortung für Ihre eigenen Gefühle übernehmen und sich nicht für das Lernen entscheiden [...]

Der liebevolle Erwachsene

, wenn Sie glauben, dass Sie schlecht seien und unfähig, sich selbst glücklich zu machen. Sie werden glauben, dass Sie mit dem Schmerz Ihres inneren Kindes nicht fertig werden könnten. Stattdessen wer­den Sie weiterhin versuchen, Ihr inneres Kind zu kontrollieren, und das Kind wird wiederum versuchen, andere zu kontrollie­ren. Sie werden Ihr inneres Kind im Stich lassen und andere für Ihre Gefühle verantwortlich machen. Wenn Ihr Erwachsener einmal entschieden hat, Ihr inneres Kind zu verlassen, dann bleibt dieses machtlos und allein zurück. Es ist der innere Erwachsene, der dann eine neue Entscheidung im Sinne des Kindes treffen muss.
Der liebevolle Erwachsene
Der liebevolle Erwachsene - der Erwachsene also, der von und mit dem inneren Kind lernen möchte - ist der dynamische, engagierte, mutige Persönlichkeitsanteil in uns, der Teil, der durch ethische Grundsätze und durch Integrität bestimmt ist. Der liebevolle Erwachsene setzt sich dafür ein zu lernen, das innere Kind zu umsorgen. Er bemüht sich darum, das innere Kind kennen zu lernen, zu lieben, zu unterstützen und in Kon­takt mit ihm zu sein. Der liebevolle Erwachsene in uns bringt den Mut auf, in unser Inneres zu schauen, uns mit uns selbst zu konfrontieren und uns kennen zu lernen. Dies ist der positive innere Elternteil, der Teil in uns, der unsere alten Kindheits­wunden heilen und falsche Überzeugungen durch die Wahrheit ersetzen kann. Dieser Teil kann konstruktiv und im Interesse der Gefühle und Bedürfnisse des inneren Kindes handeln. Er kann aktiv die Wünsche, Bedürfnisse, Sehnsüchte und kreati­ven Ideen des Kindes realisieren. Das Kind ist hungrig - der Erwachsene bereitet ihm eine Mahlzeit zu. Das Kind ist müde - der Erwachsene geht zu Bett und macht das Licht aus. Das Kind möchte Kontakt zu anderen haben - der Erwachsene nimmt das Telefon und ruft jemanden an. Das Kind visualisiert das Bild, und der Erwachsene malt es auf die Leinwand.
Der Erwachsene drückt durch sein Handeln die Bedürfnisse und Gefühle des Kindes und auch des Erwachsenen aus. Wenn wir nur fühlen, ohne dass wir unseren Erwachsenen diese Gefühle in Handlung umsetzen lassen, dann bleiben wir stecken. Glei­chermaßen sind Taten, die nicht vom Gefühl getragen werden, nichtssagend und leer. Wenn Sie zum Beispiel einem anderen Menschen gegenüber warme Gefühle hegen, diese aber nicht durch irgendeine Geste ausdrücken, dann wird dieser andere nie einen tiefen Eindruck von Ihnen bekommen. Wenn Sie jedoch Zärtlichkeit demonstrieren, ohne ein Gefühl der Liebe zu empfinden, dann ist diese Aktion bedeutungslos und kann sogar manipulativ sein. Aus diesem Grund ist der Kontakt und das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Seiten in uns so wichtig. Wenn der liebevolle Erwachsene und das geliebte Kind zusammenarbeiten, sind wir mit uns selbst in Einklang.
Der liebevolle Erwachsene ist dem inneren Kind gegenüber weder autoritär noch gleichgültig. Er zwingt dem Kind seinen Willen und seine eigene Art zu handeln nicht auf, aber er versteht es, dem Kind Grenzen zu setzen. Das innere Kind möchte vielleicht den ganzen Tag Süßigkeiten naschen, aber der liebevolle Erwachsene weigert sich, diesem Bedürfnis ent­sprechend zu handeln. Statt dessen fragt der liebevolle Erwach­sene das Kind, warum es diesen Wunsch hat, warum es sich so leer fühlt, dass es sich mit Süßigkeiten füllen muss. Der liebe­volle Erwachsene macht dem Kind keine Vorwürfe, weil es bestimmte Wünsche und Gefühle hegt, er sagt dem Kind nicht, dass es unrecht habe oder schlecht sei. Der Erwachsene weiß, dass das Kind für seine Gefühle wichtige Gründe hat, und er handelt in der Absicht, diese Gefühle kennen zu lernen.
Der liebevolle Erwachsene ist dem Kind gegenüber nicht derart nachgiebig, dass er ihm erlaubt, sich anderen gegenüber lieblos zu verhalten. Nehmen wir einmal an, das innere Kind ist auf jemanden wütend. Der liebevolle Erwachsene ist sensibel genug, diese Wut wahrzunehmen und zu verstehen und hilft dem Kind, sie in angemessener Weise auszudrücken. Er erlaubt aber dem Kind nicht, seine Wut an anderen auf eine Art auszu­lassen, die manipulativ oder verletzend ist, indem es andere schikaniert, bedroht oder körperlich angreift. Der liebevolle Erwachsene verlässt das Kind nicht, wenn es wütend, verletzt oder traurig ist, noch sagt er dem Kind, dass andere für diese Gefühle verantwortlich seien. Der Erwachsene weiß, dass diese Gefühle von innen kommen, aus tief sitzenden Ängsten und Überzeugungen, dass sie nicht von jemand anderem verursacht wurden, und er ist da, um die Gefühle des Kindes wahrzuneh­men und zu verstehen und seine Selbstheilungskräfte zu unter­stützen. Darüber hinaus schützt der Erwachsene das Kind da­vor, Dinge persönlich zu nehmen, indem er dem Kind immer die Wahrheit sagt.
Nehmen wir beispielsweise einmal an, Ihr Ehepartner würde Sie anschreien und Ihnen sagen, Sie seien dumm. In Ihrer Kindheit ist Ihnen das vielleicht häufig von Ihren Eltern gesagt worden und deswegen fühlen Sie sich immer wieder getroffen, wenn man Sie als dumm bezeichnet. Ein liebevoller Erwachse­ner würde eingreifen und zu dem Kind sagen: »Dieses wütende und verurteilende Verhalten hat nichts mit dir zu tun. Du bist eine intelligente Person. Diese abwertende Charakterisierung rührt von etwas, was in ihm/ihr vorgeht und für das du nicht verantwortlich bist. Also mach dir keine Sorgen, ich werde dieses Problem für uns regeln.« Der Erwachsene handelt dann im Interesse des Kindes und sagt zu dem Ehepartner: »Ich weiß, dass du sauer bist, aber ich möchte nicht auf diese Weise heruntergeputzt werden. Das tut mir weh. Wenn du offen für ein Gespräch bist, dann lass uns über die Sache sprechen.« Wenn sie/er dann nicht für einen Lernprozess offen ist, würde ein Erwachsener die Szene verlassen. Wenn das Kind sich noch immer verletzt fühlt, würde der Erwachsene die Gefühle des Kindes anhören und herauszufinden versuchen, woher diese Gefühle kommen, vielleicht indem er sich wieder an lange vergessene Erfahrungen ähnlicher Situationen aus der Kind­heit erinnert. Der Erwachsene vertraut darauf, dass die Gefühle des Kindes sich mit einer gewissen Logik entwickeln, dass sie von vergangenen Erfahrungen und den daraus entstandenen Überzeugungen herrühren. Der liebevolle Erwachsene ist ein Lehrer und heilt das kindliche System der falschen Überzeu­gungen, indem er dem Kind die Wahrheit sagt.
Der liebevolle Erwachsene ist eine mächtige, kompetente Persönlichkeit in dem Sinne, dass er Macht hat: Macht über das Selbst, über seine Entscheidungen und die Fähigkeit, die Träume des Kindes zu verwirklichen. [...]Das Diagramm auf Seite 51 zeigt die Eigenschaften des liebevollen Erwachsenen und des geliebten Kindes und die Verbindung zwischen den beiden.
Das Wichtigste, was wir für uns selbst tun können, ist, uns bewusst zu machen, wie lieblos wir mit uns umgehen und was es bedeutet, ein liebevoller Erwachsener für unser inneres Kind zu werden.
Die Art, wie wir unser inneres Kind behandeln, ist ausschlagge­bend für alles andere in unserem Leben. Wenn wir unser inneres Kind lieblos behandeln, werden wir abhängig von Dingen, Menschen oder Handlungen. Wir werden ängstlich, besorgt, depressiv, leiden unter Schmerzen, Leere, Bedürftigkeit, gerin­ger Selbstachtung, einem unerträglichen Gefühl des Alleinseins und physischer wie psychischer Krankheit. Die Schwere einer Geisteskrankheit entspricht dem Grad der Spaltung zwischen dem inneren Erwachsenen und dem inneren Kind. Wir werden verrückt, wenn wir das Alleinsein und den tiefen Schmerz des inneren Kindes nicht sehen und fühlen wollen.
Wenn wir unser inneres Kind liebevoll behandeln, schaffen wir die innere Verbindung, die die Leere in uns füllt, und wir müssen diese Leere nicht von außen, durch Sucht oder Abhän­gigkeit, zustopfen. Je mehr wir lernen, unser inneres Kind liebevoll zu behandeln, desto tragfähiger und sicherer wird die innere Verbindung. Das bringt uns Frieden, Freude, Kraft und Ganzheit und schützt uns davor, uns aufzugeben, um von ande­ren geliebt zu werden.